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WIRKT

In den Arbeitssitzungen des WIRKT-Workshops wurden von den Teilnehmern vielfältige Perspektiven zur Inter- und Transdisziplinarität vorgeschlagen und diskutiert.
WIRKT Workshop on interdisciplinary research and knowledge transfer, 9. Juli 2014, Barcelona. Fotos: Stella Veciana.

 

 

 

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Über die Notwendigkeit offene Prozesse zu schließen.
Swen Seebach

Im Prozess des Wandels der modernen Gesellschaft und dem damit einhergehenden Transformationen des sozialen Raumes, haben sich in den letzten Jahren neue Formen der Kommunikation und der sozialen Interaktion herausgebildet, die mitunter transversal durch traditionelle Institutionen, Gruppen und soziale Gebilde hindurchlaufen.

In der Stadt finden wir wohl die paradigmatischsten Beispiele dieser Veränderungen. Die soziale und politische Projektion des urbanen Raumes hat sehr stark zur Herausbildung eben dieser transversalen Tendenzen geführt. Zum Beispiel das allgemein bekannte (und durchaus kritisierbare) Konzept der „Smart City“ (mit all seinen ökonomischen, sozialen, und ökologischen Konzepten, Vorstellungen, Inhalten und Projektionen) ist verbunden mit verschiedenen Formen der Partizipation urbaner Akteure in einem gemeinsamen Prozess der Problemerkennung, -bearbeitung und -lösung.

Sehr eng verbunden mit den Entwicklungen in der Smart City ist die Idee das die Stadtgesellschaft eingebunden werden muss, dass die „Crowd“ als ungebundenes Kollektiv, als uneinheitliche Einheit beitragen muss Problemfelder aufzuzeigen, zu untersuchen und zu behandeln. Die passende Technologie (insbesondere Informations und Kommunikationstechnologien, ICTs) ist natürlich grundlegender Bestandteil eines solchen Prozesses, da nur durch die richtigen technologischen Mittel Daten gesammelt, vermittelt, und zentralisiert werden können und eine Zusammenarbeit von unabhängigen Akteuren ermöglicht wird.

Die Erkenntnis, dass die „Crowd“ oder das Kollektiv dem Einzelnen nicht nur etwas voraus hat, sondern dass mittels des Gemeinsamen etwas Größeres entstehen kann, als es die Summe der Einzelkapazitäten vermuten lassen[1] hat zu vollkommen neuen Formen der Ausübung und Durchführung von sozialen, politischen, ökonomischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Prozessen geführt. 

Dies ist besonders klar am Fall der Wissenschaft ables- und nachweisbar, um den es in diesem Beitrag gehen wird. Die Veränderungen der Wissenschaft (in diesem Sinne) verlaufen in zwei Richtungen: Zum Einen gibt es eine Veränderung in der Form in der Wissenschaft ausgeübt und betrieben wird, zum Anderen in der Art wie Wissen geschaffen und vermittelt wird. So sind im Rahmen neuer Wissensgenerierungs- und Wissensvermittlungsmodelle kollektive Datenerhebungen (Open Science), neue Formen der kollektiven Wissensvermittlung (Citizen Science), und eine generell sehr viel mehr problemorientierte Projektion von wissenschaftlichen Arbeiten, auch über disziplinäre Grenzen hinweg, keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil, im sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Raum der „Smart City“ wird eine solche Form der Wissenserschaffung und –vermittlung zur Notwendigkeit.

Horizontalität (als die weitgehende Eliminierung von ungleichen Bedingungen durch Nichtintervention) und Offenheit (als die Bereitschaft zur Veränderung, zum Nichterwarteten, zum Anderen und zum Neuen sowohl in Hinsicht auf Teilnehmer als auch auf den Gewinn von Resultaten) sind hier zwei absolute und unabdingliche Schlagworte, die beständig in neuen Formen in der interdisziplinären, offenen, und bürgerwissenschaftlichen Zusammenarbeit kanonisiert werden.

Dieser Artikel hat sich zum Ziel gesetzt diesem Verlangen nach Horizontalität und vor allem nach Offenheit etwas zu- oder gar entgegenzusetzen, zum Einen um zu verdeutlichen was Grenzen der Horizontalität und Offenheit sein könnten, zum Anderen um auf die große Verantwortung, die in der Erschaffung solcher Wissens- und wissenschaftlichen Prozesse liegt, hinzudeuten.

Die Überlegungen für diesen Artikel gehen zurück auf Beobachtungen und Diskussionen in einem Workshop im Kunst- und Kulturzentrum HANGAR in Barcelona. Ziel des Workshops (WIRKT)[2] war es Akteure aus verschiedenen Disziplinen, mit verschiedenen wissenschaftlichen und professionellen Hintergründen an einen Tisch zu setzen und mit ihnen gemeinsam an einem Protokoll für interdisziplinäre Arbeit und Forschung zu arbeiten.

Im Rahmen des Workshops ging es also vor allem darum, die Durchführung und Ausübung wissenschaftlicher Projekte zu systematisieren, welche die Zusammenarbeit jenseits disziplinärer Grenzen erforderlich machen. Eine Besonderheit war es, dass die Diskussionsrunden des Workshops in Themenfeldern organisiert waren, die eine Systematisierung und Protokollierung ermöglichen und vereinfachen sollten. So gab es eine Session zu a) existierenden strategischen Dokumenten der interdisziplinären Forschung und Arbeit (White Papers, Strategiedokumente, Protokolle),b) zu Methodologien,  c) zu Indikatoren der Bewertung neuer Formen von Wissenschaft und d) zu ökonomischen Konzepten, die eine gerechte Form von Tausch in ungleich gewichteten Wissenschaftskontexten erlauben.

Wie so oft beobachtbar im Kontext der interdisziplinären und problembezogenen Forschung, als auch in der Citizen Science (Bürgerwissenschaft) spielten natürlich Fragen der Kommunikation, und vor allem das Erschaffen gemeinsamer kommunikativer Grundlagen eine besondere Rolle. Schon allein deshalb war es notwendig, dass die verschiedenen Teilnehmer mit Beispielen aus der eigenen wissenschaftlichen Praxis arbeiteten und diese somit zur Grundlage des Verständnisses des Anderen werden ließen. Was nun angemerkt werden muss ist, dass in relativ vielen Präsentationen die Offenheit der Wissensgewinnungsprozesse, der Datensammlung und –auswertung und der Veröffentlichung von Ergebnissen und Resultaten hervorgehoben wurde. Die beständige und kontinuierliche Offenheit von Wissens- und/oder Wissenschaftsprozessen wurde also weithin als etwas Positives erfasst und verstanden. Des weiteren wurde des Öfteren das Offenhalten von Forschungszielen und –grundlagen unterstrichen.

Zum einen möchte ich hier jedoch behaupten, dass viele dieser offenen Prozesse viel weniger offen sind, als vorgegeben wurde, zum anderen möchte ich unterstellen, dass das Öffnen von Prozessen ebenso wenig per se etwas Positives ist, wie das Herstellen von Horizontalität einfach so geschieht.

Um zu erklären, was damit gemeint ist, will ich zuerst einmal einen Schritt zurückmachen auf eine "Metaebene". So wie der Galeriebesucher von einem Gemälde zurücktritt, um nicht im Detail verfangen zu bleiben, möchte ich mich zur Offenheitsdebatte verhalten, die so häufig in der interdisziplinären, oder „citizen science“  Forschung geführt wird. Nun muss man zuerst einmal anmerken, dass die Grundlage der Vorstellung, dass Offenheit (insbesondere in sozialen Prozessen) etwas Positives ist, streng mit politisch-philosophischen Paradigmen der Moderne und Postmoderne einhergeht. In der Romantik (in einem großen Moment der Abwendung von der Religion als transzendentem Gebäude für die Gesellschaft) geboren, wird Offenheit, als ein Prozess ungeschlossenen Fließens, schnell zum Ziel, zur ungezügelten Freiheit, die sich immer weiter in die philosophischen Betrachtungen hineinschiebt. So heißt dann zum Beispiel Offenheit schon bei Heidegger, bereit zu sein das Leben zum Tode zu führen. Dies mag so viel heißen wie sich auf das Neue einzulassen und so nicht einzig auf der Vergangenheit und den Denkmälern dieser Vergangenheit zu beruhen. Vor allem seit Deleuze’s Anti-Ödipus ist aus dem offenen Prozess endgültig etwas geworden, dass für die Avantgarde, aber auch für die Gesellschaft im Allgemeinen Freiheit darstellt, ja darstellen muss. 

Wenn wir uns die Verknüpfung zwischen dem offenen Prozess als solchem und unserer Vorstellung von Freiheit genauer anschauen, dann sieht man, dass der Grund für den Glauben das Offenheit-An-Sich etwas Positives ist, streng verknüpft ist mit dem Erlebnis. Im eigentlichen Sinne könnte man behaupten, dass das Erlebnis nicht nur Moment ist, in dem sich Freiheit verwirklichen kann (man fühlt sich frei, man ist frei), sondern auch Moment in dem sich Offenheit beweist,  eben dadurch, dass das Individuum in diesem Moment nicht der Vergangenheit verhaftet bleibt, sondern sich auf das Neue oder zumindest mögliche Neue einlässt. Die grundsätzliche Idee des Erlebnisses ist es nämlich den Moment als etwas Besonderes und Singuläres wahrzunehmen (zu belassen), sich also von der Vorstellung einer unabdinglichen Wiederholung des Vorherigen zu befreien. So wird auch schnell klar warum die Romantik Ausgangspunkt für diesen Prozess der modernen Philosophie und des modernen Freiheitsdenkens werden musste, denn es ist in ihr, dass die Idee, dass das Subjekt nur im Erleben zu sich kommt, ja zu sich kommen kann, ihren endgültigen Ausgang nimmt[3] .

Nun steht aber trotz aller positiven Konnotationen dem Prozess des Öffnens oder Offenhaltens notwendigerweise ein Prozess der Schließung gegenüber. Schließung könnte man als den Moment des Festhaltens bezeichnen, eben in den Fluss der Ereignisse und der Bewegungen des sozialen und physischen Seins einzugreifen und so diesen zumindest teilweise zum Stehen zu bringen. Man könnte hier auch vom Erkennen sprechen, denn was sonst ist eine Erkenntnis als das Festhalten von materiellen, sozialen oder individuellen bewegten Dingen in einem feststehenden Gedanken(-bild).

Solch ein Prozess der Schließung ist deshalb notwendig, weil wir nur so in der Lage sind, das Erlebte zu sortieren und zu behalten. Erkennen ist so zum Beispiel die Grundlage der Erschaffung von Erinnerung, denn nur im Distanzieren und Festhalten vom Erlebten kann dieses Festgehaltene Teil unseres Gedächtnisses werden. Erkennen ist auch die Grundlage von Kommunikation, denn nur im Festhalten des Erlebten, kann dieses Erlebte erzählbar werden.

Wie bereits erwähnt, wurde im Workshop Offenheit von Wissens-/ Wissenschaftsprozessen als etwas sehr positives dargestellt. Dies kann meiner Meinung nach auf drei Gründe zurückgeführt werden:

  1. Die Vorträge waren auf das Erleben eines Wissensvorganges fokussiert, eine Erlebniserzählung, die eben die Erfahrungen verdeutlichen sollte und zwar so dass sie nicht (nur) verstanden, sondern nachempfunden/miterlebt werden können. In einem solchen Zusammenhang tritt die Offenheit des Erlebens stärker hervor, als die wissenschaftlichen Erkenntnisaspekte.
  2. Wichtiger ist der zweite Grund: Der Workshop fand hauptsächlich mit Personen statt, die bereit sind interdisziplinär zu arbeiten und schon so gearbeitet hatten. Eine Emphase von Offenheit wurde dadurch wahrscheinlicher.
    Diese lag zum einen daran, dass die Beteiligten bereits erkannt/erlebt haben, dass traditionelle Erkenntnisformen (wie sie die traditionellen Disziplinen repräsentieren) nicht zulänglich auf das Empirische zutreffen, dass das Erlebte jenseits disziplinärer Grenzen steht und sich ihm entzieht oder es überbordet. In diesem Sinne, wird die Betonung des offenen Prozesses zum Bekenntnis einer bestimmten (politischen) Denk- und Sichtweise, die normativ aussagt wie Wissenschaft sein sollte – nämlich erlebensfokussiert(er). Dass dies Grundlage in der Workshop-Gruppe werden musste, ist schon deshalb verständlich, weil ja das Schaffen eines Protokolls für interdisziplinäre Wissenschaft als Ziel des Workshops auf genau diesen normativen Unterboden gebaut war/ist. Zum Anderen aber lag es auch daran, dass eben genau deshalb weil man weiß, dass andere von anderen Disziplinen kommend, jedoch interdisziplinär denkend, sich durch eine bestimmte Arbeits- oder Denkweise eingeschränkt fühlen könnten, die Offenheit des Wissensgewinnungsprozesses überbetont wird, um einladender zu sein. Die Unterstreichung der Offenheit wird zum Gestus. So wird zum einen erreicht, dass jeder zuhörende Teilnehmer sich, wenn schon nicht angesprochen fühlt, zumindest das Gefühl hat, dass es einen Platz für ihn/sie in der jeweiligen Recherche geben könnte. Außerdem entgeht man so natürlich auch Kritik. Würde man sich nämlich auf einen bestimmten Erkenntnisprozess festlegen, dann würden Andere diesen ja als falsche Form der Schließung kritisieren können. Etwas was dennoch (natürlich) mehrfach im Workshop passierte. 
  3. Um den dritten Punkt zu erklären, soll vorab angemerkt werden, dass im Workshop nicht nur außerordentlich viele Künstler anwesend waren, sondern dass Künstler (oder zumindest künstlernahe Personen) einen großen Anteil der Teilnehmer darstellten. Nun ist das insofern von Belang, als dass Künstler eine besondere Beziehung zum Erleben pflegen. In bereits genannter Romantik differenzieren sich Künstler und Wissenschaftler auseinander und besetzen neue Positionen. Der Künstler wird zum Akteur, der erlebt und Erlebnisse schafft (der Endzweck ist das Erschaffen und das Erlebnis) und scheint eben so dem Wissenschaftler, der aus dem erlebten Erkenntnisse abschöpft, sie also gewissermaßen aus dem Prozess des Erlebens herausreißt (der Endzweck ist das Wissen), diametral gegenüber zu stehen. [4]. Aus einem gewissen Blickwinkel wirkt es so, als ob der Künstler, das Sein in seinem Fluss lässt, oder zumindest dieses Sein nur aus dem Fließen entführt, um es wieder angereichert in den selben Fluss zurückzuführen, während der Wissenschaftler eben festhält und schließt, weil es ihm einzig um das Erkennen geht. [5] Selbst wenn solch eine strenge Trennung vielleicht nicht komplett realitätsgetreu ist, so hat sie trotz allem (als existierender Diskurs) einen bestimmten Effekt auf die Selbstwahrnehmung und –darstellung und auf das politische Gebären von Wissenschaftlern und Künstlern. Und generell muss man sich darüber im klaren sein, dass ein Künstler, um kreativ zu sein, sich von anderen Handlungszwecken freimachen können muss, ihm also schon allein deshalb jede nicht-souveräne Schließung kontraintuitiv erscheinen muss. Ich möchte also behaupten, dass Künstler Offenheit unterstreichen, weil sie sich auf der (handelnden) Erlebensseite verorten und diese Seite „politisch“ unterstreichen wollen und müssen.

Nun soll das natürlich nicht heißen, dass Künstler keine wissenschaftliche Arbeit erbringen kann und auch nicht, dass der Wissenschaftler nicht angemessen bereit ist, sich für Neues zu öffnen. Im Gegenteil möchte ich fast behaupten, dass eine Vermischung beider Positionen nicht nur notwendig, sondern paradigmatisch für die postmoderne und vor allem die Wissenschaft geworden ist, die sich dem Urbanen widmet, und in diesem Prozess der Künstler eine zentrale Rolle spielen kann.

Generell kann man feststellen, dass während man sich mit Methoden wie teilnehmender Beobachtung und Autoethnografie und einer generellen Zuwendung zum empirischen Ereignis (wie z.B. mit der Grounded Theory oder der Science and Technology Studies STS) wissenschaftlich dem Offenhalten und Erleben zugewandt hat, haben Künstler zunehmender Maßen das Erkennen und das Wissen und somit das Schließen zu einem erklärten Ziel erhoben (sei dies in der Verwissenschaftlichung über die gefertigte Kunst, der Transformation des Erlebens/Erschaffens in Wissensgestände, oder mittels der Räume und Praxen die Wissenschaftler normalerweise benutzen und mit denen auch Künstler experimentieren und arbeiten). Vor allem die offenen Formen Wissenschaft zu betreiben, müssen hier genannt werden als ein Sammelbecken, in dem Künstler und Wissenschaftler, Erlebnis- und Sinnorientierte gemeinsam partizipieren.  Genau hier in diesem Überschneidungspunkt ist es auch, wo sich die Teilnehmenden des Workshops trafen.

Jedoch während sich in den Unterhaltungen über die erlebten „offenen“ Prozesse in den verschiedenen Projekten noch Einigkeit und Stimmigkeit herrschten, wurde die Unterscheidung zwischen erleben/offen halten und erkennen/schließen in den Debatten um ein gemeinsames Protokoll sehr deutlich und zwar ganz genau an der Grenze zwischen denjenigen, die sich als Künstler, und denjenigen die sich als „harte“ Wissenschaftler verstanden. Während die Wissenschaftler dazu tendierten bestimmte Schließungen im Bezug auf Methodologien, Qualitätskriterien (Indikatoren) und wissenschaftliche Prozesse zu erwarten, einzufordern und auszuformulieren, schien dies vor allen den Künstlern extrem zu wieder zu sein. Man wolle sich nicht an einem bestimmten Endzweck unterornen müssen, oder schon vorher entscheiden müssen wohin Forschungsprojekte orientiert werden. Denn was heute nicht wertvoll erachtet wird, könnte es morgen schon sein, waren gewichtige Argumente. Es gab natürlich auch Momente an denen Diskussionen nicht genau entlang dieser Bruchlinie verliefen [6], aber generell war es schon offensichtlich, dass hier kein Einverständnis herrschte.

Es sollte bis hierhin klar geworden sein, dass man beide Positionen die des Offenhaltens und die des Schließens, als Positionen verstehen muss, die aneinander stehen, historisch miteinander verknüpft sind und eigentlich in einer puren Form (die sich jeweils in den Figuren des Künstlers und des Wissenschaftler verfestigt haben) nicht existieren. Es sollte auch gezeigt worden sein, dass beide Positionen eindeutige politische Haltungen sind, die einen normativen Charakter beinhalten und eine bestimmte Weltsicht darstellen. Nun möchte ich zum eigentlichen Problem kommen und behaupten, dass das nicht-schließende ständige Offenhalten eine „politische“ Kampfhaltung ist, die sich zwar eignet die individuelle Freiheit und Souveränität zu betonen (was auch gut und wichtig ist), jedoch das Wissenschaftliche verhindert und wissenschaftliche Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne ausschließt.

Wenn man nämlich nicht bereit ist bestimmte Dinge zu beschließen, dann entsteht für den Anderen keine Sicherheit, dass das wissenschaftliche Projekt morgen noch das Projekt ist, die Zusammenarbeit noch die Zusammenarbeit usw. Man wäre überhaupt nicht gemeinsam beschlussfähig ohne eine bestimmte Form des Schließens. Die einzigen zwei Formen den wissenschaftlichen Arbeitsprozess und dessen Grundpfeiler nicht zu (be-) schließen wären zum einen eine Form der Sklaverei, in welcher ein Individuum die absolute Entscheidungsfreiheit hat, während der Andere diese abgibt (Einer darf gar nicht, der Andere darf unentwegt, muss aber nicht schließen) oder zum anderen der Beschluss aller Beteiligter den Wissenschaftsprozess offen zu lassen, also Offenheit selbst als Endzweck aufzustellen. Nun mag man mit recht argumentieren, dass zumindest der zweite Fall interessante Ergebnisse hervorbringen könnte. Hier jedoch von einem wissenschaftlichen Prozess zu reden, erscheint mir nicht sinnvoll und ich möchte behaupten, dass das auch gar nicht die Intention der, der Offenheit zugeneigten, Haltung ist, ja sein kann. Ständige Offenheit bedeutet nämlich ständiger Ausnahmezustand, Gewalt (Bataille 1985, 1986). [7]

Es geht bei solch einer Haltung vielmehr um eine Kampfansage, eine angelegte Kritik, die wie im politischen Modell Mouffe’s und Laclau’s einreißen will, um eine neue Debatte möglich zu machen. Ausgehandelte Kompromisse sollen nicht vermieden oder verhindert werden, sondern geöffnet werden für Neuverhandlungen. Sich jedoch immer wieder zum Schließen zu entscheiden ist äußerste Notwendigkeit und im eigentlichen Sinne souveräner Akt. Das heißt, nicht Offenhalten, sondern offengehaltenes Schließen macht uns zum souverän freien Menschen. Der souveräne Akt ist eine Kunst des Überschreitens, welche des Schließens bedarf, um das Beschlossene überschreiten zu können. Schließung und Offenhalten sind streng aufeinander bezogen (Bataille 1985). Wenn man nicht schließt, wird man nicht souveräner, sondern entzieht sich diesem souveränen Akt, der dann von/vom Anderen durchgeführt wird. Es wird also dennoch geschlossen jedoch außerhalb der eigenen Kontrolle und Entscheidungsfähigkeit.

In diesem Sinn ist gezeigt, das Offenhalten-wollen nicht immer sinnvoll ist. Im Gegenteil ist Offenhalten zum Zweck zu erklären selbst geschlossene Haltung, nicht-souverän geschlossene Haltung, die zutiefst asozial ist, denn die Verweigerung des Schließens, ist auch die Verweigerung von Verantwortung, Verweigerung der Verhandlung und daraus resultieren Vermeiden der Herstellung von Vertrauen. Vertrauen ist für soziale Beziehungen notwendig, und grundlegend wenn man Geldgeber oder Wissenschaftler von anderen Disziplinen davon überzeugen will, das Risiko einer Zusammenarbeit (Luhmann 1968) an den eigenen disziplinären Grenzen einzugehen. Nur eine andere Form des Schließens als die Form des Nichtschließens macht solch eine Verhandlung möglich.

Eine Form dieser Verhandlung vorzubereiten und ein primäres Vertrauen zu schaffen, das eine Zusammenarbeit ermöglicht, ist das Vertrauen eben aus etwas Anderem als aus der Verhandlung der wissenschaftlichen Grundprinzipien zu entwickeln oder zu schöpfen. Ironischerweise kann zum Beispiel die widerholte gemeinsame Erfahrung oder das gemeinsame Erleben von Ereignissen zu Vertrauen (und gemeinsamen Beschlussvorstellungen) führen. Dies wird vielleicht nicht bei projektfinanzierenden Institutionen ausreichen den Impuls zu geben, ein Projekt zu finanzieren, kann aber durchaus zu wissenschaftlicher Kompromissbereitschaft führen.

In diesem Sinne, hat der Workshop im Hangar geWIRKT, obwohl noch nicht alle notwendigen Schritte aufeinander zu gegangen worden sind um eine Einigung zu erzielen, das gemeinsame Erleben hat Vertrauen und eine Erlebensgrundlagen gebildet. Es wurde eine eine Basis geschaffen, auf der Schließungen möglich werden könnten, nicht allein deshalb, weil wir alle für Tage in einem gleichen Prozess eingeschlossen waren, der alles andere als offen war.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Offenhalten als kritische Kampfhaltung sich mit dem Erleben verbunden sieht und sich dem erkennenden Wissen gegenüberstellt. Zum Endzweck erklärt, oder unangemessen angewendet, wird diese politisch/normative Haltung nicht nur falsch, oder unproduktiv, sondern sogar dogmatisch. Schließungen sind Verhandlungsgerundlagen, Ansatzpunkte für Kritik und der Möglichkeit einer Moral, die gegebenenfalls durch Öffnung überarbeitet werden kann oder sogar muss. Nur im Zusammenspiel aus Öffnen und Schließen wird Sozietät möglich. Weil ich also Beides, das Öffnen und Schließen, als Gemeinsames und  Notwendiges erachte, kann das Offenhalten nicht als grundsätzlich Positives betrachtet werden, sondern nur als Gegensatz zur gleichnotwendigen Schließung, die ebenso durchgeführt werden muss und mit der sich das Offenhalten vervollständigt.

Wenn wir nun zu den neuen Formen der Wissenschaft/Wissensgenerierung in der Stadt zurückkommen, dann sehen wir, dass auch hier eine Trennung zwischen Erleben und Erkennen aufgebaut wird, die unter dem Begriff Offenheit scheinbar aufgehoben wird, jedoch eigentlich Trennung impliziert. Die Rollen sind in diesem Prozess klar verteilt. Während der Bürger als Kollektiv verantwortlich gemacht wird, einen wissenschaftlichen Prozess offen zu halten, ist der Wissenschaftler zuständig diesen zu schließen. Der Bürger erlebt, der Wissenschaftler erkennt aus dem Erlebten.
So lange jedoch die „Citizens“ oder das uneinheitliche Kollektiv nur erlebt oder erleben darf (und Daten sammelt) und nur der Wissenschaftler oder der Experte erkennt, sind wir weit entfernt von den Voraussetzungen für eine ökonomische, ökologischen, politische und vor allem soziale Smart City, denn hier dient das Offenhalten einzig dem souverän Schließenden.

Nur wenn die Bürger/die Crowd eingeladen wird, das Erlebte zu analysieren und zu verhandeln mit ihren wissenschaftlichen Pendants, wird eine harte Citizen Science (Finke 2014) möglich. Nur wenn man gemeinsam (über diese Grenze hinweg) Schließungen aushandelt, kommt es zu einem (politisch) faireren Wissensgenerierungs- und Wissensvermittlungsprozess. Vielleicht wäre es Zeit, die Bürger, statt sie „nur“ zum Daten sammeln einzubinden, mit dem Wissen auszustatten, wie sie diese Daten analysieren können und so ihr Erleben nutzbar machen können, also Erlebnis und Erkenntnis verbinden. Vielleicht ist es auch an der Zeit, dass Wissenschaftler endlich wieder gezwungen werden, die Erlebnisse, die sie als Daten analysieren, zu erleben und erlebend zu verstehen. Die Figur des Künstlers und des Sozialwissenschaftlers könnten hierbei durchaus eine zentrale Rolle spielen.


1. De facto ist diese Erkenntnis nichts Neues. Schon Simmel weißt in seiner Soziologie (1908) darauf hin, dass Gesellschaft „nicht nur der Komplex vergesellschafteter Individuen, sondern auch die Summe jener Beziehungsformen,“ ist „...vermöge deren aus den Individuen eben die Gesellschaft im ersten Sinne wird.“ (Simmel 1908:8). Es ist jedoch eine Tatsache, dass das Nutzbarmachen dieses unsichtbaren Gewebes in politischen, sozialen und ökonomischen Prozessen erst durch neue Technologie zu einem Höhepunkt gebracht wurde.

2. Ein Name der lustiger Weise nicht nur Name sondern imaginiertes (vorgestelltes/ herbeigewünschtes) Symbol des Workshops wurde.

3. Man sollte hier übrigens auch nicht die Bedeutung dieser Transformation für den Konsumkapitalismus unterschätzen, wie z.B. Campbell (in Ekström and Brembeck 2004:27–44) zeigt. Interessanterweise soll hier schon angemerkt werden, dass die Erlebnisbezogenheit gleichbedeutend mit einem strarken Schicksalsglauben einher ging, den es auszuleuchten gilt.

4. Otthein Rammstedt hat 1985 einen interessanten und inspirierenden Aufsatz veröffentlicht, der zumindest zeigt, dass andere Autoren (Durkheim, Weber und Simmel), diesen Gegensatz erkannt und unterstrichen haben.

5. In eine solche Differenzierung fliesst natürlich die ganze Debatte der wissenschaftlichen Werfreiheit ein, die wir von Weber oder Simmel kennen.

6. Wie schon angesprochen, Ich als festhaltender Beobachter schliesse ebenfalls nur einen Prozess in einer bestimmten begrenzten Art und Weise. Man könnte selbstverständlich mehr als nur anhand dieser Ausdifferenzierung beschreiben, was in Hangar 2014 passierte.

7. Genau deshalb wird man in der Romantik so schicksalsgläubig, weil man den Akt des Schließens überläßt, statt ihn zu übernehmen.


Adorno, Theodor., & Horkheimer, Max (2002) Dialectic of Enlightenment. Stanford University Press, Stanford.

Bataille, George (1985). Visions of Excess: Selected Writings 1927-1939, Allan Stoekl, Carl R. Lovitt, and Donald M. Leslie, Jr. University of Minnesota Press, Minneapolis

Bataille, George (1986). Erotism: Death and Sensuality, Mary Dalwood, City Lights Books, San Francisco.

Deleuze, Gilles (1977). Anti-Ödipus. Frankfurt/M. Suhrkamp.

Finke, Peter (2014). Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien. oekom, München

Ekström, Karin M., and Brembeck, Helene (2004). Elusive Consumption. Berg Publishers.

Heidegger, Martin (2006). Sein und Zeit. 19. Auflage. Niemeyer, Tübingen

Laclau, E and Mouffe, C. (1985). Hegemony and Socialist Strategy: Towards a Radical Democratic Politics, Verso: London.

Luhmann, Niklas (1968). Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität

Rammstedt, Otthein (1985). Zweifel am Fortschritt und Hoffen aufs Individuum: Zur Konstitution der modernen Soziologie im ausgehenden 19. Jahrhundert in

Soziale Welt: Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis
36(4): 483–502.
Georg Simmel (1908). Soziologie – Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Duncker & Humblot, Berlin

Swen Seebach - Politikwissenschaftsstudium an der Universität Leipzig, Philosophie – und Feminismusstudium an der Universität Sussex. Spezialisierung auf die Recherche von Emotionen und deren Bedeutung für das Weben sozialer Beziehungen. Derzeitige Recherchefokusse – Emotionen in Konsumpraxen und eine, auf Empirie basierende, Konzeptualisierung von Interdisziplinarität. Forscher im IN3 (Internet Interdisciplinary Institute). Mitarbeiter im Drittmittelprojekt Forms of Commitment in Love Relationships and the Expression(s) of Emotions in Times of Electronic Communication an der offenen Universität Kataloniens (UOC). Mitarbeiter in Projekten von HANGAR (Barcelona). mehr

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