Victor Grippo, "Analogía I", 1977 (2. Fasung). Foto: M.A. Gómez.
BMW-Guggenheim Lab, 15. - 29 Juli 2012, Pfefferberg, Berlin. Fotos: Stella Veciana.
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“Lowtech” versus „Hightech“ Kooperationen: die politisch geladenen Kartoffeln des Víctor Grippo und das umstrittene BMW-Guggenheim Lab in Berlin.
In den Siebziger Jahren entwickelte der argentinische Chemiker und Künstler Victor Grippo (*1936, † 2002) eine Reihe von „Lowtech-Experimente“ mit Kartoffeln, die er „Analogien“ nannte. In seinen Arbeiten verwandelte Grippo Kartoffeln in rudimentäre Batterien - denn an Elektroden angeschlossen können sie kleine Mengen an Strom weiterleiten. Seine Analogien bieten einen visionären Beitrag zur Energiedebatte und einen alternativen Gesellschaftsentwurf, der auch heute noch aktuell ist.
In der Installation „Analogía I" liegen Kartoffeln auf einem langen Tisch für ein technisches Experiment bereit. Durch zahlreiche Drähte werden drei bis fünf Kartoffeln verbunden, die wiederum zu größeren Gruppen zusammengeschaltet sind. Die letzten beiden Drähte sind an einem Voltmeter angeschlossen, das die Energie der Kartoffeln misst sobald ein Besucher das Gerät anschaltet. Im Verlauf der Zeit verlieren die Kartoffeln ihre "vegetative Energie" und die gemessene Energie verringert sich. Das Voltmeter ermöglicht die Dauer bzw. die Stabilität pflanzlicher Energieprozesse zu quantifizieren und wissenschaftlich auszuwerten.
Grippo’s Anliegen hier ist allerdings ein anderes als das des wissenschaftlichen Quantifizierens. Mit der Wahl der Kartoffel als Lebensmittel, hinterfragt er die unterliegenden sozialen, politischen, historischen und wissenschaftlich-technologischen Kontexte eines solchen Energieexperiments. Auch andere Obst- und Gemüsesorten haben diese Eigenschaft, und auch andere Künstler nutzten sie, um auf ein anderes Gesellschaftsmodell zu verweisen - so wie beispielsweise Joseph Beuys die Zitrone in seiner "Capri-Batterie" von 1985 einsetzte.
In den "Analogien" ist die Kartoffel nicht nur ein Symbol für die tägliche Nahrung von Bauern, so Grippo, sondern auch für die koloniale und postkoloniale Geschichte eines Lebensmittels, das etwa 1534 aus dem heutigen Chile und Peru nach Spanien exportiert wurde. Im Gegenzug werden heute Pestizide und patentiertes Saatgut aus der westlichen Biotech-Industrie in die Schwellenländer importiert, die für viele Bauern unbezahlbar sind und sie existentiell ruinieren.
Die „Hightech“ Forschung der Industrieländer begegnet dem Welthunger mit Gentechnologien, deren technologische Risiken unklar und deren politische Rahmenbedingungen nicht nachhaltig orientiert sind. Hier kommt die widersprüchliche Rolle der Industrieländer zu Tage, die einerseits Entwicklungshilfe leisten und anderseits versuchen ihre wirtschaftliche Machtposition zu halten: Ein stetes Abwägen zwischen Kooperation und Wettbewerb. Dagegen steht was Elsa Flores Ballesteros[1] als Grippo’s "kritischem Regionalismus" bezeichnet. Seine Kartoffel-Installationen würden auf „Lowtech-Systeme“ verweisen, die mit „armen Materialien“ arbeiten und eine regionale Autarkie anstreben.
Peter Weibel spricht in diesem Zusammenhang von einer zeitgenössischen Ästhetik, die de-kolonisiere: „Die Sorge um die dritte Welt wird nicht mehr mit den Mitteln der ersten Welt artikuliert, formuliert und ausgedrückt, sondern mit den Mitteln der dritten Welt. Das ist ein Vertrag zwischen ästhetischer und sozialer Solidarität.“[2] Grippo’s „Analogien“ können nicht nur als eine institutionelle Kritik am westlichen Wissenschaftssystem und seine enge Verstrickung mit der Industrie verstanden werden, sondern auch als ein Apell an die Wissenschaft soziale Verantwortung zu übernehmen. Diese implizite Aufforderung an eine soziale Solidarität erfährt innerhalb des künstlerischen Ausstellungsbetriebs viel positive Resonanz.
In einem anderen Kontext kann jedoch die Präsentation solcher Lowtech-Experimente problematisch werden, wie beim öffentlichen "Forschungslaboratorium" des BMW-Guggenheim Lab. Im Schatten einer mobilen Konstruktion aus Kohlefaser wurden u.a. auch "Lowtech-Systeme" von Studenten bzw. Lowtech-Unternehmen aus den USA gezeigt. Studenten des MIT Media Lab aus Boston führten vor wie aus Bananen Klaviertasten werden, das spielerische Makeymakey Projekt. Aber auch ernsthaftere Anliegen werden mit partizipativen lowtech Ansätzen gelöst, wie das MEDIKit der "LDTC+Labs. Democratiized Medical Technologies" aus Cambridge/MA. Eine modulare Spiegel-Konstruktion kann Wasser allein mit der Sonnenstrahlung zum kochen zu bringen. Das ermöglicht zum Beispiel Ärzten in Wüstengebieten ohne Stromanschluss, ihr Skalpell zu desinfizieren. Die MEDIkits werden mit den Einwohnern zusammen entwickelt, besteht aus einfach ersetzbaren modularen Bausteinen und sind aus lokal verfügbaren Materialien hergestellt.
Wahrscheinlich sind dies alles Projekte ganz in Grippo's Sinne, die aber im Kontext des BMW-Guggenheim Lab von der Öffentlichkeit sehr kritisch rezipiert wurden. "Eine Universität auf der Straße, geht das?" steht auf einem der Tische, die zum Dialog auffordern sollen. Auf einem weiteren Tisch steht die Frage "Wolltest Du schon mal Experte sein?". Sie will bestimmt einen gutgemeinten Partizipationswillen zeigen, kommt aber eher überheblich daher und stößt somit sofort auf Abwehr. Als "Think Tank, Gemeindezentrum und öffentlicher Versammlungsraum" wollte das Projekt Experten und Anwohner zusammenbringen um über das "urbane Leben der Zukunft" zu diskutieren. Allerdings wurden die Anwohner vorab nicht im Entwicklungsprozess einbezogen und es bildete sich eine "bmwlabverhindern" Initiative.
Die massiven Proteste aus dem Anti-Mediaspree-Umfeld schafften zwar nicht das Projekt ganz zu stoppen, aber es musste von seinem ursprünglich geplanten Veranstaltungsort in Kreuzberg (auf der Brachfläche Schlesische Ecke Cuvrystraße) zum Pfefferberg im Prenzlauer Berg weichen.
"BMW wolle sich den öffentliche Raum einkaufen" und das Projekt diene nur seiner "Imagepflege" gegenüber konkurrierenden Autoherstellern wie Audi und der Bereinigung seiner Nazivergangenheit, lautete die Kritik. Nachdenklich stimmt auch, dass alle Teilnehmer die "Lowtech-Systeme" vorstellten sowie die Projektmitarbeiter aus Amerika eingeflogen waren, zumindest nach Auskunft derjenigen MItarbeiter die an jenem Tag dort arbeiteten. Die lokale Einbindung in das Projekt scheiterte wohl auch während des Projektverlaufs auf dieser personellen Ebene. Das gibt zu denken. Wie sieht es mit der lokalen Anbindung an internationalen Kooperationsprojekten zu globalen Zukunftsfragen aus? Wie ist es mit der Zusammenarbeit in Forschungskooperation mit Entwicklungsländern tatsächlich bestellt? Die internationale Forschungskooperation im Falle der transdisziplinären Forschung, das heisst der Forschung die Anwohner, Einheimische oder andersseitig Betroffene integriert, sehr westlich geprägt ist. Internationale Forschungskooperationen mit Schwellen- und Entwicklungsländern, wie im Falle der Entwicklung von "Lowtech-Modellen", bedürfen neue konzeptionelle aber auch infrastrukturelle Strukturen und vor allem entsprechend angepasste Förderbedingung.
Grippo's Experimente der Siebziger sind einfach und bescheiden. Heute werden sie in jeder Grundschule unterrichtet. Aber dadurch, dass diese „Lowtech-Systeme“ nicht in einem ethisch-sozialen Zusammenhang gelehrt werden, bleibt ihr sozial innovatives Potential für die Probleme zukünftiger Generationen ungenutzt. Gegen eine "Universität auf der Straße" oder eine öffentliche Debatte um die Zukunft der Stadt mögen wahrscheinlich die wenigsten sein, aber nicht unter der Schirmherrschaft von Großunternehmen, die an der Einbindung aller Beteiligten scheitern. Soziale Verantwortung zu übernehmen bedeutet in diesem Kontext vor allem die Forschungsfragen für einen alternativen Gesellschaftsentwurf mit allen Betroffenen zu diskutieren, um die beispielsweise daraus zu entwickelnde „Lowtech-Modelle“, in der öffentlichen Forschungsförderung sozialgerecht zu integrieren.
↑ 1. Elsa Flores Ballesteros. "Ideologische Konzeptkunst und Regionalismus. Victor Grippo einige Tendenzen seiner Poetik.“ In: Inklusion/Exclusión. Versuch einer neuen Kartographie de Kunst im Zeitalter von Postkolonialismus und globaler Migration. Ausstellungskatalog. Steirischer Herbst '96. Köln : DuMont, 1997, S. 213.
↑ 2. Peter Weibel, „Kunst als offenes Handlungsfeld“. In: Offene Handlungsfelder. 48. Biennale von Venedig, Ausstellungskatalog, Köln : DuMont, 1999, S. 10.
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