RESEARCH ARTS
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Marjetica Potrč, Vortrag in der Landesvertretung Niedersachsen in Berlin, 5. Dezember 2012. Fotos: Stella Veciana.

 

 

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"Gemeingüter - Wohlstand durch Teilen." Silke Helfrich, Rainer Kuhlen, Wolfgang Sachs, Christian Siefkes. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, 2010, S.20.

 

 

 

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"Nachhaltig: Kunst // Daniel Frese Preis 2012", Landesvertretung Niedersachsen, 5. Dezember 2012. Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität Lüneburg, dem Kunstraum der Leuphana, dem Lüneburger Innovations-Inkubator und mit der Unterstützung des WBGU im Rahmen des BMBF Wissenschaftsjahrs 2012.

Was haben Caracas und Amsterdam gemeinsam? Die künstlerische Strategie des "Commoning" im "Shared Space" der Städte.


Zur Abschlußveranstaltung "Nachhaltig: Kunst", die im Rahmen des Jahresprogrammes "Schöne Aussichten // Nachhaltiges aus Kunst und Kultur" stattfand, wurden nationale und internationale KünstlerInnen eingeladen, um mit ihren Arbeiten dem Publikum einen Einblick in die "Nachhaltigkeitsdebatte" der visuellen Künste zu geben. Allerdings kam es bei dieser Veranstaltung zu gar keiner Debatte, aber dazu mehr am Ende dieses Beitrags. Der nachhaltig beeindruckendste Vortrag des Abends gestaltete Marjetica Potrč (*1953, Ljubljana, Slowenien). Sie stellte nicht nur die üblichen Vorstellungen von Stadt und wie wir in ihr leben wollen in Frage, sondern zeigte zugleich konkrete Handlungsfelder auf, wo Nachbarn ihre Visionen der Stadt kreativ umsetzen und mitgestalten können.

Hinsichtlich den vorgefassten Ideen zur Stadt fragte Potrč die Zuhörer was Caracas und Amsterdam gemeinsam haben. Denn es ging ihr gerade nicht um eine Gegenüberstellung der 'Caracas Barrios' mit einer "zwei-Tage-die-Woche Wasserversorgung" versus des 'Nieuw West' Stadtbezirk mit einer "nur-zum-Anschauen Begrünung" (kijkgroen). Worauf es ihr ankam war es, dem Publikum durch eine Analyse ihrer Erfahrungen mit Vor-Ort Projekten die "gemeinsamen Visionen von Zukunft" dieser Stadtbewohner vorzustellen. Die Vorstellung des Städtischen als Metropole würde zu Nachbarschaften werden und die des "öffentlichen Raumes" zum "Shared Space | Gemeinsam genutzter Raum". Der Besitz des Landes/Raumes solle zukünftig durch ihre Kontrolle/Nutzungsregeln ersetzt werden. Ausschlaggebend für die Städter wäre es in Zukunft, nicht mehr von der Architektur im Sinne der Planung von Bauwerken auszugehen als von einer bottom-up organisierten sozialen Architektur. Das individuelle Besitztum würde durch den geteilten Raum und Wissen abgelöst. Weiterhin würde die Kultur des Konsumdenkens, die "schnell, global un-politisch, urban und unterhaltsam" ist, durch eine Kultur des Lebens erneuert, die nicht nur Langzeit orientiert, lokal, und politisch ist, sondern auch eine Gleichgewicht zwischen dem Ruralen und Urbanen schafft. Kurzgefasst, eine Vision, die den Fokus auf das "Lokale, Kleine und Unabhängige" setzt.

Auf welchen konkreten Erfahrungen basiert Potrč ihre Analyse, die sie zu dieser Zukunftsvision der Städter geführt hat? Ein Beispiel ist das Projekt "The Cook, the Farmer, His Wife and Their Neighbour" ('Stedelijk Goes West', Potrč und Wilde Westen, Amsterdam 2009). Die Initiative verwandelte eine öffentlich nicht-betretbare Grünfläche in einen gemeinsam angelegten Gemüsegarten und einen ungenutzten Raum an der Lodewijk van Deysselstraat 61 in eine Nachbarschafts-Küche. Diese bottom-up organisierte "Stadtlandschaft" ermöglicht den Nachbarn den Zugang und die Nutzung eines Gemeineigentums und hinterfragt somit den Zugangsausschluß (z.B. der kijkgroen), der zum Regime des Privateigentums gehört. Das Projekt stellt die Frage nach den Gemeingütern, nach der Fähigkeit von Nutzer-gemeinschaften, Zugangs- und Nutzungsregeln festzulegen, die allen dienen.

Diese Perspektive auf den Stadtraum verändere den Umgang mit dem öffentlichen Raum, aber das gemeinsame Anpflanzen und Kochen wandele auch unser Zusammenleben und die Kommunikation unter Nachbarn, berichtet Potrč. In vielen Städten leben die Nachbarn anonym nebeneinander und kennen sich nicht einmal vom Sehen. Durch dieses Projekt haben die Nachbarn nicht nur ihre Namen ausgetauscht, sondern auch ihre Kenntnisse, die sie beim Umsetzen ihres gemeinsamen Projektes anwenden. Möglicherweise liegt genau in dieser Kommunikation lebendiger sozialer Netze das Potential die Gemeingüter zu entfalten. Die Kunst bekommt hier die Rolle eines Werkzeugs für kulturelle Veränderungsprozesse. Sie sucht Wege die "Tragik der Allmende" zu überwinden indem sie hilft die selbst-organisierten Regeln im Umgang mit den Gemeingütern weiter zu entwickeln und durchzusetzen. Was für Anforderungen stecken hinter der positiven Annahme Kunst könne "als ein Werkzeug für kulturelle Veränderungsprozesse" agieren? Wie sieht das Handlungsfeld eines Künstlers als Mediator bzw. einer Künstlerin als Vermittlerin aus?

Weitere Erfahrungen sammelt Potrč durch das "Dry Toilet" Projekt (La Vega barrio, Potrč und Liyat Esakov, Caracas 2003). Die "Trockene Toilette" wurde auf einem Hügel des La Vega barrio installiert, ein Bezirk mit einer sehr geringen Wasserversorgung. Dafür unter-stützten sie die Caracas Case Projects, die Kulturstiftung des Bundes und das Venezolanische Umweltministerium. Öffentliche Gelder für Entwicklungshilfeprojekte sind notwendig, aber soll es nun Aufgabe der Kunst werden, sich um städtische Infrastrukturprobleme von Entwicklungsländern zu kümmern? Welche Rolle kann die Kunst in der Bewältigung der globalen Probleme wie das der Armut, des Klimawandels oder der Ressourcenknappheit spielen? Welche künstlerischen Praxen könnten in einem globalen Kontext eine transformative Rolle spielen? Was kann die Kunst zu wissen-schaftlichen Forschungssprojekten, die an Nachhaltigkeit orientiert sind, beitragen?

Die Frage jedoch, mit der sich Potrč oft konfrontiert sah und die sie auch überraschte, war: Wo denn bei diesen 'Vor-Ort Projekten' die Kunst sei? Diese Frage kam auch oder gerade von Stedelijkbesuchern. Das Museum hatte das Amsterdamer Stadtgartenprojekt unterstützt und sein Publikum zum Besuch eingeladen. In ihrem Artikel "Is This Art? The Relational Object in a Shared Space" (2010) versucht Potrč der Frage nach der Kunst eine Antwort zu geben: "Ich verfolge die Transformation der Skulptur als Objekt zum 'relationalen Objekt' und die Transformation vom 'öffentlichen Raum' zum 'Shared Space'." Potrč's sieht sich in der Tradition der 'Land Art', die die Idee der Skulptur als Objekt um die der Landschaft erweiterte, wobei in ihrem Projekt das Land nicht betrachtet, sondern angebaut würde. Auch die Beuysche 'sozialen Plastik' habe ihre Praxis beeinflusst, insofern es ihr auch um eine existentielle Erfahrung, eine Ko-Existenz und eine geteilten Kreativität ginge, die die Kunst ermögliche aber nicht mehr verkörpere. Der Bezug zu Lgdia Clark's 'relationalen Objekte' wäre in der existentiellen Selbsterfahrung mit und durch den Anderen zu sehen. Schließlich, die Idee des 'Shared Space': sie entwachse aus dem Wunsch einer Gemeinschaft ihre Umgebung anders zu gestalten, indem eine nachhaltigen Vision verfolgt und durch einen Prozess mit 'partizipatorischen Design' entwickelt würde. Was Potrč demnach besonders auszeichnet und was sie der Kunst im 'Shared Space' der Städte hinzufügt, ist die Dimension der 'Commons | Gemeingüter'. Das stellt die Kunst vor neuen Herausforderungen: Wie könnte so etwas wie eine Ästhetik der Allmende aussehen? oder Wie wollten wir, dass eine Kunstpraxis der Commons umgesetzt würde?

In einer Passage des zuvor erwähnten Artikels schreibt Potrč: "Für die [Kunst]Besucher ist der Gemeinschaftsgarten ein Kunstobjekt, ein 'relationales Objekt'. Für die Nachbarn, die es nutzten, ist es ein Element in ihrer Gemeinschaftsbildung". In jedem sozialem System, so wie Luhmann beispielsweise das Kunstsystem von dem Wissenschaftssystem unterschied, erfahren "Objekte" eine andere Bedeutung. Ebenso im Wissenschaftssystem wird ein Forschungs-objekt in jeder Disziplin mit einer spezifischen Methode untersucht bzw. mit der entsprechenden Fachsprache beschrieben und erhält dadurch für das jeweilige Forschungsfeld eine andere Bedeutung. Einige Forschungsfragen, die im Zusammenhang mit Potrčs' Arbeit für die Research Arts relevant werden könnten, sind beispielsweise: Um welche Kriterien und Bewertungsindikatoren unterscheiden sich Potrčs' Zukunftsvision der Städter von denen der Beratungsexperten der Bundesregierung? Welche resiliente Praxen in Krisensituationen haben Nachbarschaften bereits entwickelt? und Wie sind die lokalen bzw. globalen Auswirkungen dieser selbst-organisierten resilienten Praxen einzuschätzen? Wie könnten die neuen Handlungsfelder der rural-urbanen Koexistenz noch aussehen? Welcher zusätzlichen Ausbildung (Science Literacy) benötigen die Mitstreiter dieser Nachbarschaften, um ihre Vorhaben im 'Shared Space' zu konzipieren und zu realisieren?

Wie sollte also eine Nachhaltigkeitsdebatte aus der Perspektive der Kunst geführt werden? Um noch einmal auf die Veranstaltung "Nachhaltig: Kunst" zurückzukommen, war leider das Programm der Vortragenden so dicht gestaltet, dass es keine Zeit für Fragen, geschweige denn für eine Nachhaltigkeitsdebatte über die vorgetragenen Arbeiten gab. Aber wie soll sich ohne einen direkten Austausch mit und unter dem Publikum ein 'relationales' Interesse zur Nachhaltigkeit bilden? Ohne eine anregenden Dialog mit einem inspirierenden Ausblick versanden solche Veranstaltungen zumeist im Nichts. Zu einem Austausch sollte es dann wohl beim gleich anschließenden üppigen Büffet kommen. Dort zerstreuten sich aber die Impulse auch wieder in Einzelgespräche. Und das Büffet, das ausschliesslich aus Fleischgerichten bestand, entsprach auch nicht einem in diesem Kontext zu erwartenden nachhaltigen Eventmanagement. Fazit: es kommt nicht nur auf das Was der Inhalte, sondern auch auf das Wie ihrer Prozessgestaltung an. Wie kann also eine solche Veranstaltung nachhaltig gestaltet werden? Allerdings wird im Bereich des nachhaltigen Kulturmanagements schon viel neu gedacht, weniger präsent ist dagegen eine Kunstpraxis der Commons. Nähme sich die Kunstwelt dem "Commoning" verstärkt an, würde sie zweifelsohne für viele relevante Forschungsfragen und überraschende Handlungsfelder sorgen.

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stella veciana

Dr. Stella Veciana - Studium der experimentellen Künste (Universität der Künste, Berlin) und der Computerkunst (School of Visual Arts, New York). Promotion über die Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft (Fakultät der Bildenden Kunst, UB). Gründerin der Plattform Research Arts, die sich der transdisziplinären und partizipativen künstlerischen Forschung für Nachhaltigkeit verschrieben hat. Ihre Kunst wurde international in Museen, Galerien, Kunstzentren und Festivals sowie in Stiftungen, NGOs, Universitäten, Forschungszentren und Kongressen ausgestellt (Akademie der Künste Berlin, Kunsthalle Nürnberg, Hangar Barcelona, UNESCO, Heinrich-Böll-Stiftung, Brot für die Welt, ZEF Development Research Center, Degrowth Conference, KIBLIX Festival, etc.). Langjährige universitäre Lehrerfahrung (Facultad de Bellas Artes Barcelona, Leuphana Universität Lüneburg, Technische Universität Berlin, Universidad Politécnica Valencia, University of Saskatchewan Canada, etc.). Mitarbeiterin und Forscherin in inter/nationalen Projekten (Forschungswende, Soft Control, PIPES, Leben in zukunftsfähigen Dörfern). Manager nationaler und europäischer Projekte (ICN). Weiterentwicklung der Lehre als „Reallabore“ für Nachhaltigkeit (Leuphana Universität mit Ökodörfer). Mitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler VDW. mehr

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