Drei Stücke für Straßenkehrer, Zócalo (Sockel). Fotos: Pia Lanzinger.
Drei Stücke für Straßenkehrer, Retrato de Grupo (Gruppenportrait). Fotos: Pia Lanzinger.
Drei Stücke für Straßenkehrer, Coro (Chor). Foto: Pia Lanzinger. |
Drei Stücke für Straßenkehrer. Vom Unsichtbaren zum Sichbaren.
Pia Lanzinger.
Auch wenn Mexiko-Stadt dafür berüchtigt ist, sich in Bezug auf eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, das Müllproblem, in einer äußerst prekären Situation zu befinden, kann ein heutiger Besucher ihres Historischen Zentrums und einiger der benachbarten Quartiere, davon so gut wie nichts wahrnehmen.
Diese Sauberkeit, die den Standard und die touristische Qualität von gehobenen Stadtarealen bestimmt, ist aber keineswegs ein Zeichen für die Lösung des Müllproblems, sondern eng mit ihm verbunden. Denn sie beruht auf der Privilegierung einer Warensphäre, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die Produktion und den wirklichen Gebrauch aller Gegenstände tabuisiert, und damit den Lebensprozess als Ganzen unterbricht. Die Folge ist der ständige Bedarf nach etwas Neuem und die schnelle Entwertung der Dinge, die verbraucht wirken ohne es zu sein. Oder wie die Künstlerin Mierle Laderman Ukeles formulierte: “(...) in consumerist society, we’re trained to lose desire as fast as possible and to buy again, more and more. To call something ‘garbage’ means stripping the materials of their inherent characteristics.”
Die Verdrängung des daraus resultierenden Abfallproblems lässt sich natürlich nicht in einem individuellen Akt rückgängig machen. Aber man kann die Rituale und Vorurteile, die dabei mitwirken, gegen den Strich lesen. Pia Lanzinger hat sich aus dieser Überlegung heraus dafür entschieden, im Rahmen des Projektes „Residual“ mit den Barrenderos, den Straßenkehrern, zu kooperieren, deren Aufgabe es ist, den im Zentrum von Mexiko-Stadt anfallenden Müll in geregelter Form zu beseitigen.
Die merkwürdige Logik der Verhältnisse kommt darin zum Ausdruck, dass die Barrenderos nahezu geächtet werden, obwohl ohne ihre Arbeit der begehrte Wert der Quartiere umgehend verfallen würde. Pia Lanzingers Projekt „Tres piezas para barrenderos“ unternimmt an dieser Stelle den Versuch einer Umkehrung: die Straßenkehrer und Straßenkehrerinnen (im Centro Histórico sind 60 Prozent von ihnen Frauen), erfahren durch inszenierte Auftritte eine Beachtung, die sie nicht nur in ihrer Funktion respektiert, sondern auch als Personen zur Geltung bringt, die einen vollständigen Lebensprozess verkörpern.
Damit in Zusammenhang steht für die Künstlerin auch die Frage, wie wir heute unsere physische Präsenz im öffentlichen Raum nachdrücklich manifestieren können, ohne mit Schaufensterpuppen und Werbekampagnen zu konkurrieren. Dieser Aspekt floss in ihr Konzept ein, indem sie auf drei verschieden zugeschnittenen Bühnen in experimenteller Weise drei klassische skulpturale Standards aufgriff, wobei neben dem Einzel- und dem Gruppenportrait eine Bühne für eine Gesangsdarbietung den Bogen zum festlichen performativen Event schlug.
Für das erste Stück „Zócalo“ führte Lanzinger Interviews mit mehreren Straßenkehrern zu ihrer persönlichen Geschichte und destillierte daraus zwei- bis dreiminütige Prosatexte, die dann von professionellen Sprechern vertont wurden. Wie Standbilder auf einem Sockel stehend, stellten sich die jeweiligen Barrenderos mit diesen Stücken schließlich öffentlich vor.
Das zweite Stück „Retrato de Grupo“ bezog sich auf die Repräsentation von Körperschaften oder Kollektiven und ermöglichte die Selbstdarstellung der Barrenderos als einer tendenziell unsichtbaren sozialen Gruppe. Im Laufe mehrerer Proben kreierten die Beteiligten verschiedene Figuren, die vor allem ihre soziale Position und die damit verbundenen Vorurteile aufs Korn nahmen. Für die zwei Aufführungen stellte ihnen die Künstlerin eine große runde Bühne zur Verfügung.
Das dritte Stück „Coro“ bot den Barrenderos die Möglichkeit, eigene Lieder zu komponieren und vorzutragen. Zusammen mit zwei professionellen Musikern entstanden dafür insgesamt sechs Lieder, sowie zusätzlich noch einzelne Statements, die offensiv und spielerisch das Leben aus der Sicht von Barrenderos darstellten. Die hierfür konzipierte rechteckige Bühne wurde drei Mal aufgestellt, wobei sich die Auftritte steigerten und zunehmend mehr Aufmerksamkeit erregten. Der Chor, der sich „Die Unsichtbaren“ nannte, brachte schließlich die Künstlerin und die beteiligten Musiker auf die Idee, die entstandenen Songs zu veröffentlichen.
Die Auftritte fanden an der Kreuzung Calle de Regina / Callejon de Mesones im Centro Histórico in den Monaten Juni und Juli 2010 statt, und wurden nicht nur von den Barrenderos mit großer Begeisterung zelebriert. Zumindest für Momente war damit ein Bann gebrochen. Auf jeden Fall waren die Auftritte irritierende Momente in der allzu normalen Entwicklung eines Stadtteils hin zur glatten und gentrifizierten Oberfläche für Touristen und Konsumenten. |