RESEARCH ARTS
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Stephen Wilson. Information arts. Intersections of Arts, Science and Technology. The MIT Press/Leonardo Books, 2002.

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Stephen Wilson. Art + Science Now. Thames & Hudson, London, 2010.

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Dokumentation zu den verschiedenen Forschungslinien des Information Arts auf Stephen Wilons' Website.

SEAD

2012 schrieb die SEAD einen White Paper Call zur Verbesserung der Kooperation zwischen Wissenschaft, Technologie, Kunst & Design aus.

 

 



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Dichter&Physiker

"Über Lebenskunst. Hans Joachim Schellnhuber und Lars Gustafsson im Gespräch." Eine Kooperation des Projekts "Über Lebenskunst" mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD und dem Potsdam-Institut für Klimafolgen-forschung PIK.Deutsches Theater, Berlin, 20. November 2012. Foto: KlimaTeam des BildungsCent e.V. Siehe auch folgende: Videoaufzeichnung

 

 

»Eine Forschungsagenda an der Schnittstelle Kunst, Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft? Vom Forschungsagenda-Pionier Stephen Wilson zu den White Papers des SEAD-Netzwerks
Stella Veciana



Die Wissenschaftsgeschichte beschreibt wie sich die Disziplinen und ihre Forschungs-objekte über die Jahrhunderte hinweg immer wieder grundlegend verändert haben. Lorraine Daston veranschaulicht in ihrem Buch "Eine kurze Geschichte der wissen-schaftlichen Aufmerksamkeit" wie das erkenntnis-theoretische Interesse für seltsame Anomalien oder deformierte Kreaturen des 16. und 17. Jahrhunderts sich im 18. Jahrhundert auf alltägliche Objekte wie Würmer und Insekten richtete. Jedoch wurden die ersten Forscher solch "minderwertig und banaler" Tiere mit einer vehementen Kritik konfrontiert. Die Forschungspioniere wurden sogar lächerlich gemacht, wenn sie auf ihre "absurden und falschen" Forschungsobjekte beharrten. Heute hat die Diskussion über die den Gegenstand der Forschung bzw. über die förderungswürdigen oder die nicht förderungswürdigen Forschungslinien eine andere Ausrichtung: sie dreht sich nicht mehr um Insekten oder Reptilien, also die Objekte selbst, sondern um beispielsweise die Kernforschung und ihre Auswirkungen, eine an Nachhaltigkeit orientierte Forschung. Wie legitimieren sich heute neue Forschungsthemen? Inwiefern wird die "Aufmerksamkeit" der Wissenschaftler gegenwärtig durch Exzellenz- und Förderkriterien gelenkt? Braucht die Research Arts eine eigene Forschungsagenda oder kann sie in andere Forschungsbereiche integriert werden? Was für ein gesellschaftlich relevantes Wissen könnte bzw. sollte die Research Arts generieren?

Die erste umfangreichere Zusammenstellung der Forschungslinien an der Schnittstelle Kunst, Wissenschaft und Technologie wurde von Stephen Wilson (*1944, †2011 San Francisco, USA) in seinem Buch "Information Arts" (2002) veröffentlicht. Wilson stellt die "Information Arts" in den Kontext der "Informationsgesellschaft" und der "kritischen Theorie". Dabei kategorisiert er diese nach dem Medienmaterialismus, der sich aus der Tradition der Informationsästhetik[1] der 70iger Jahre entwickelt. Seine Kategorisierung in sechs Forschungsbereiche beruht im Wesentlichen auf dem "Informationswert" des Erforschten als Material oder Produkt und auf dem technischen Herstellungsmedium. Die ursprünglich sechs Forschungsbereiche wurden in seiner 2010 erschienenen Publikation "Art+Science Now" auf acht erweitert. Sie sind im Folgenden so aufgeführt, wie sie gegenwärtig auf Wilsons' Website dargestellt werden, wobei jedoch diverse Bezüge zu seiner Publikation "Information Arts" hergestellt wurden:

1. "Conceptual Kinetics, Electronics, Physical Computing; Robotics; Activated Objects, Mixed Reality, Tangible Interfaces, Virtual/Physical Connections; Kinetic Instruments, Sound Installation, Industrial" entspricht dem Forschungsbereich der Kinetik, Audio-Installationen und Robotik wo zum Beispiel das Erforschen von Verhalten (mimetisch, synthetisch oder beides) von Robotern, die mixed Realities und ihre Wechselwirkungen sowie industrielle Anwendungen eine Rolle spielen. Er basiert auf Technologien wie die der Mikroprozessoren, elektronische Sensoren oder physical Computing. Von Anbeginn hat dieses Feld viel Anklang in der Populärkultur gefunden und viele Autodidakten angezogen. Die Debatte über seine sozialen Implikationen liegen u.a. in der Mensch-Maschine Beziehungen oder der Hybridisierung des Körpers durch Prothesen.

2. "Motion, Gesture, Touch, Gaze, Manipulation, Haptics; Artificial Intelligence & Agents; Information Systems, Surveillance, Science as Information System, Shadow Corporations; Speech Synthesis, Voice Recognition, and 3-D Sound; Virtual Reality (immersive); Computer Media; Artist Games". In diesem Forschungsfeld sammelt Wilson Arbeiten, die die Wahrnehmung von Geruch, Geschmack und Berührung untersuchen sowie sich mit künstlicher Intelligenz, Steuerungen, autonomen Agenten, Informationssystemen, Gesten und Spracherkennung, synthetisierter Sprache, Virtuelle Realität oder Spielen befassen. Die kritische Hinterfragung gilt hier der gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologien u.a. durch die Überwachung mit Bioidentifikation oder solche, die im Zusammenhang mit der Virtualisierung / Entmaterialisierung stehen.

3. "Biology: Microbiology, Bioengineering, Stem Cells; Biology: Animals & Plants; Ecology; Body & Medicine" umfasst die Forschung von der molekularen und zellulären Ebene von Organismen, Stammzellenforschung, Bioengineering, Biosensoren und Bionik. In diesem Bereich werden u.a. Technologien genutzt, die aus der Computersimulation, der Nanotechnologie, dem Klonen oder der funktionalen Visualisierung von chemischen Prozessen kommen. Ein anderer Teilbereich erstellt Modelle von biologischen oder wirtschaftlichen Phänomenen / Systeme wie z. B. das Modell der DNA, künstliches Leben, experimentelle Manipulation von Verhaltensweisen oder die Netzwerke von Nervenzellen. Hier wird die kritische Diskussion in der Bioethik oder hinsichtlich der biologischen Kriegsführung verfolgt.

4. "Algorithms, Art & Mathematics, Code, Genetic Art, Artificial Life; Atomic Level Physics, Nanotechnology; Natural Phenomena - Non-linear Dynamic Systems, Water, Weather, Solar Energy, Geology, Mechanical Motion; Space Art; Rapid Prototyping Sculpture; Holography" orientiert sich insbesondere am Forschungsfeld der Mathematik oder der Nanotechnologie. Abstrakte Strukturen und Muster werden durch technische Hilfsmittel wie die der Topologie, Kryptographie, Röntgengeräte, Holographie, Rapid Prototyping bis zur Forschung Nichtlinearer dynamischer Systeme untersucht. Andere Bereiche sind die der Erforschung des Wassers, Wetters, Geologie oder Solarenergie. Wilson kritisierte in Information Arts das mangelnde künstlerische Interesse für eine Kunst der "Phänomene", was er sich durch den Nicholas Negroponte gesetzten Trend "Move bits, not atoms" erklärt. Aus der kritischen Perspektive des 'Designs von Wirklichkeit' werden hier beispielsweise die visuellen Darstellungen künstlichen Lebens betrachtet.

5. "Telecommunications, Wireless,Web Art, GPS (Global Positioning System) / Locative Media, Holography" gehört zu den beliebtesten Forschungsfeldern der Künstler, nach Wilson. Mit der Entwicklung von neuen Technologien und Geräten über das Telefon, dem Radio zum Internet haben sich die Möglichkeiten der Kommunikationsform, der geographischen Distanzüberwindung und der Bildung sozialer Netzwerke immer mehr erweitert. Das technologische Spektrum reicht von Tele- und Videokonferenzen, GPS Anwendungen, Satelliten und Internet Kooperationen über WLAN, Spracherkennung, Kommunikationssicherheitssystemen, Telepresence, Telesensing. Zu den kritischen Implikationen dieses Feldes gehören u.a. die Einflüsse der Telekommunikation auf Identitäts- und Beziehungsbildung, den sozialen Austausch, die soziale Kontrolle oder den Datenschutz.

Die Ausrichtung der Forschungsbereiche von Wilson unterliegt im Wesentlichen den Auswahlkriterien der technologischen Innovation. Eine Weiterführung einer solchen Forschungsagenda verfolgt das nordamerikanische Netzwerk der SEAD, Network for Sciences, Engineering, Arts and Design. In ihrem Jahresbericht von 2012 umschreibt sich die SEAD als die "Gemeinschaft von Wissenschaftlern und Forschungspraxen, die die Brücke zwischen Computer Science, Technologie und Kreativität" schlägt. Gegenwärtig beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe des SEAD mit der Ausschreibung und Auswertung von über 70 eingereichten Weißbüchern, die zu einem übergreifenden Bericht für die US National Science Foundation führen wird. Dieser Bericht soll über die Bedürfnisse, Chancen, Hindernisse und verbesserte Kooperationsmöglichkeiten dieser Forschungsgemeinschaft von Künstlern, Wissenschaftlern, Ingenieuren und Designern im Kontext von anderen internationalen Berichten Auskunft geben und letztlich zur Entwicklung einer gemeinsamen Plattform dienen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es allen interessierten Akteuren teilzunehmen und im besten Falle eine geteilte Herangehensweise zu entwickeln.

Allerdings, inwiefern die Teilnehmer der Ausschreibung und dieser Forschungs-gemeinschaft ausserhalb des akademischen Bereichs liegen, d.h. auch eine zivilgesellschaftliche Partizipation angestrebt wird, kann erst dem fertigen Bericht entnommen werden. Jedoch gerade dieser Aspekt der Partizipation des "Experten des Alltags" und die Orientierung an Themen der Nachhaltigkeit sind Schwerpunkte der RESEARCH ARTS. Der Bezug zu einer sozialen Innovation jenseits der technologischen taucht bei Wilson wenn überhaupt nur ansatzweise in der kritischen Komponente der Kunst auf. Auch die Entwicklung einer Citizen Science bzw. einer an Nachhaltigkeit orientierten Wissenschaft scheint nicht expliziter Teil der Ausrichtung der SEAD zu sein. Angesichts der großen Herausforderungen wie Klimawandel, Welternährung und Ressourcenknappheit benötigen wir aber auch in der Forschungsgemeinschaft an der Schnittstelle Kunst, Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft eine Neuorientierung. Ein Beispiel dafür, daß der Austausch zwischen Wissenschaftlern und Künstlern bereits Eingang in die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion findet, zeigt die Veranstaltung "Über Lebenskunst. Hans Joachim Schellnhuber und Lars Gustafsson im Gespräch", die kürzlich im Deutschen Theater in Berlin stattfand.

Der Physiker Hans Joachim Schellnhuber[2] ging dort gemeinsam mit dem Dichter und Philosoph Lars Gustafsson[3] auf relevante Themen der Nachhaltigkeit ein, wie auf die intergenerationelle Demokratie, die Notwenigkeit eines ökologisch-kulturellen Handelns, die Suche nach möglichen Alternativen für eine zukunftsfähige Gesellschaft und ein „gutes Leben“. Zu Beginn entfaltete Gustafsson das Bild einer Person, die morgens ihre Badewanne einlaufen lässt, um dann zu frühstücken und sie gedankenlos weiterlaufen lassen. Schellnhuber malte darauf ein noch komplizierteres Bild von ganz vielen Badewannen, die alle mit einer nicht genau bestimmbaren Wahrscheinlichkeit überlaufen werden, wenn wir unser Verhalten nicht ändern. Das Ausmaß des Klimawandels entspräche dem beschleunigten Tempo des amerikanischen Rouletts. Jedoch dem Umweltdilemma entgegenzuwirken zu können, wäre sowieso nur noch einer Generation gegönnt.

Einen Ausblick auf ein "gutes Leben" gäbe der Versuch des Ausbruchs aus der Vernunft "als intelektuelles Gefängnis", das mit dem "thinking outside the square" zu ersetzen sei, so Gustafsson. Nach Schellnhuber, hätte die Erfahrung gezeigt der Weg zu einem "guten Leben" würde weniger durch Strategiepläne erreicht wie den gesunden Menschenverstand zu nutzen. Kurzgefasst, das metaphernreiche Gespräch zwischen Wissenschaftler und Künstler erfuhr eine durchaus interessierte Öffentlichkeit. Leider wurde diese nicht mit einem direkten Austausch belohnt, es gab keine Zeit für Fragen aus dem Publikum. Die Wissenskommunikation blieb somit einseitig und in seinem Elfenbeinturm verhaftet, statt sich auf einen offenen Dialog mit der Gesellschaft einzulassen. Nichtsdestotrotz, zeigt sich in dieser sowie vielen anderen Veranstaltungen, dass die Zahl der Akteure in diesem Feld wächst und es Zeit wird auch in Europa über eine mögliche Forschungsagenda der RESEARCH ARTS nachzudenken.

1. Die Informationsästhetik charakterisiert sich durch die Autonomie der Form und einer Methode, die auf Konzepte und logischen Regeln aufgebaut ist. Gianetti unterscheidet zwischen dem Computer Art (Frieder Nake, Georg Nees, Kurd Ausleben, Manuel Barbadillo, Eusebio Tempere u.a.), der Rationalen Ästhetik (George David Birkhoff), der Informationellen Ästhetik (Max Bense, André Abraham Moles), der Kybernetik (Herbert W. Franke, Siegfried Maser, Helmer Frank), der Generativen und Partizipativen Ästhetik (Frieder Nake, Georg Nees, Kurd Alsleben) und der Wahrnehmungsästhetik (Herbert W. Franke, Helmer Frank). Claudia Giannetti. "Estética digital. Sintopía del arte, la ciencia y la tecnología"; Barcelona : ACC L'Angelot, 2002, S. 49.

2. Hans Joachim Schellnhuber ist Professor für Theoretische Physik, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.

3. Lars Gustafsson. Dichter und Philosoph, veröffentlichte 2011 „Gegen Null. Eine mathematische Phantasie“ im Secession Verlag und ist "Artist in Residence" am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK.

 

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stella veciana

Dr. Stella Veciana - Studium der experimentellen Künste (Universität der Künste, Berlin) und der Computerkunst (School of Visual Arts, New York). Promotion über die Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft (Fakultät der Bildenden Kunst, UB). Gründerin der Plattform Research Arts, die sich der transdisziplinären und partizipativen künstlerischen Forschung für Nachhaltigkeit verschrieben hat. Ihre Kunst wurde international in Museen, Galerien, Kunstzentren und Festivals sowie in Stiftungen, NGOs, Universitäten, Forschungszentren und Kongressen ausgestellt (Akademie der Künste Berlin, Kunsthalle Nürnberg, Hangar Barcelona, UNESCO, Heinrich-Böll-Stiftung, Brot für die Welt, ZEF Development Research Center, Degrowth Conference, KIBLIX Festival, etc.). Langjährige universitäre Lehrerfahrung (Facultad de Bellas Artes Barcelona, Leuphana Universität Lüneburg, Technische Universität Berlin, Universidad Politécnica Valencia, University of Saskatchewan Canada, etc.). Mitarbeiterin und Forscherin in inter/nationalen Projekten (Forschungswende, Soft Control, PIPES, Leben in zukunftsfähigen Dörfern). Manager nationaler und europäischer Projekte (ICN). Weiterentwicklung der Lehre als „Reallabore“ für Nachhaltigkeit (Leuphana Universität mit Ökodörfer). Mitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler VDW. mehr

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