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Forschung zum Mitmachen

Stationen im Dragon Dreaming Prozess zur Gründung des Forschungsinstituts. Foto: Stella Veciana.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Forschung zum Mitmachen

Stationen des Dragon Dreaming Prozesses mit Christoph Strünke, Sancho Federlein, Stella Veciana, Christiane Kliemann, Julia Kommerel und Jutta Walter (von rechts nach links). Foto: Fred Westermann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Forschung zum Mitmachen

Stationen des Dragon Dreaming Prozesses, den Julia Kommerel und Ita Gabert anleiteten. Foto: Stella Veciana.

 

 

»Gemeinschaftsforschung zum Mitmachen!«
Christoph Strünke und Stella Veciana



Ein neuer Forschungsgeist belebt das Ökodorf Sieben Linden: Forschung zum Mitmachen! Bisher wurde das Ökodorf von Akademiker/innen für ihre Forschungsarbeiten untersucht, nun forschen Ökodorfbewohner/innen selber mit. Sieben Linden ist gegenwärtig an sechs unterschiedlichen Forschungsprojekten in den Bereichen Klimaschutz, nachhaltige Ernährung, Wissenschaft und Verantwortung, Erneuerbare Energien und nachhaltigem Bauen beteiligt. Aber damit ist nicht genug: die Gründung eines neuen Forschungsinstituts für und mit intentionalen Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum ist geplant. Zwar gibt es deutschlandweit viele Forschungsinstitute, die auch an Universitäten angegliedert sind, aber nur sehr wenige, die sich der Forschung mit und für Gemeinschaften widmen.

Initiatioren des Projekts sind Stella Veciana und Christoph Strünke. Veciana hat ihren Wunsch der Gründung eines Forschungsinstituts nach Sieben Linden mitgebracht. Es soll die Partizipation von den „Pionieren des Wandels“ in Forschungsprojekten und Forschungspolitik ermöglichen. Die Idee entstand während sie ihre Doktorarbeit (Universität Barcelona, 2004) schrieb und sie entwickelte diese in verschiedenen Forschungskontexten weiter, u.a. während sie für die Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungs-wende arbeitete oder für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ ein praxisnahes Handbuch für eine partizipative und nachhaltigkeitsorientierte Forschung schrieb.

Für Strünke, ist die Gründung eines Forschungsinstitut eine Weiterentwicklung dessen, was ihn seit mindestens zehn Jahren begleitet und es ist für ihn persönlich eine neue Ausrichtung „in die Welt hinein“, nachdem er zehn Jahre im Ökodorf als Geschäftsführer der Siedlungsgenossenschaft gearbeitet hat. Denn er ist seit einigen Jahren die Ansprechperson für Forschungsarbeiten über das Ökodorf. Zumeist waren das Student/innen, die über das Ökodorf schreiben wollten.

Zum Planungsprozess (Dragon-Dreaming) des Forschungsinstituts hat sich ein kleines Forschungsteam zusammengefunden, um die Ziele konkreter zu formulieren und die nächsten Schritte zu planen.

Bisher sind über 30 Projekt-, Diplom-, Bachelor-, Masterarbeiten und zwei Doktorandenarbeiten an Universitäten, Forschungsinstituten und Ministerien aus ganz Deutschland  (Bayreuth, Berlin, Bremen, Bonn, Chemnitz, Dresden, Eberswalde, Kassel, Halle, Hamburg-Harburg, Freiburg, Hannover, Hildesheim, Jena, Kassel, Konstanz, Leipzig, Lüneburg, Münster, MURL, Oldenburg, Trier) und darüber hinaus (Dänemark, Österreich, Schweden, Schweiz, USA) geschrieben worden.

Die regen Forschungsanfragen sind immer wieder sehr spannend, jedoch die Forschungsarbeiten selbst zumeist eher von Interesse für die wissenschaftliche Welt und weniger für die Gemeinschaft. Dies lag bisher zum einen daran, dass Fragestellungen z.B. von Bachelorarbeiten notwendigerweise inhaltlich begrenzt sind und zum anderen, dass die Forschungsbedarfe des Ökodorfs nicht im Mittelpunkt standen. Daher waren sie für Sieben Linden selbst nicht so praxisrelevant und haben leider in Deutschland noch darüber hinaus keine starke öffentliche Breitenwirkung in Bezug auf eine ökologische, ökonomische und soziale und kulturell gelebte Nachhaltigkeit erzielt.

Der Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU lässt den „Pionieren des Wandels" eine besondere Bedeutung für die Transformation der Gesellschaft zukommen (Hauptgutachten Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, 2011). Vor diesem Hintergrund soll mit der Gründung eines neuen Forschungsinstituts für und mit intentionalen Gemeinschaften einen entsprechenden Schritt weiter gegangen werden:

Das Forschungsinstitut soll die Kenntnisse und das Erfahrungswissen der „Pioniere des Wandels“ zu einer größeren gesellschaftlichen Breitenwirkung verhelfen und ein Praxisfeld für eine nachhaltigkeitsorientierte partizipative Forschung bereitstellen. Dabei wird sich das Institut nicht nur auf das Ökodorf Sieben Linden, sondern auf den gesamten deutschsprachigen Raum beziehen. Dazu sind wir im Gespräch mit Mitgliedern aus anderen Gemeinschaften bzw. Netzwerken wie Ina Meyer-Stoll und Achim Ecker vom ZEGG; Thomas Waldhubel vom Schloss Tempelhof und Kariin Ottmeier von GEN-Deutschland sowie Wissenschaftler/innen aus verschiedenen Forschungseinrichtungen wie Dr. Iris Kunze von der University of Natural Resources and Life Sciences BOKU und Dr. Matthias Grundmann der Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Alle Interessierte sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen.

Diese neue Ausrichtung hat bereits Anklang in den verschiedensten Forschungsbereichen gefunden. Seit 2015 hat sich die Beteiligung des Ökodorf Sieben Linden an unterschiedlichen Forschungsprojekten vervielfacht und besteht in den Bereichen Klimaschonung, nachhaltige Ernährung, Wissenschaft und Verantwortung, Erneuerbare Energien und nachhaltigem Bauen.

  • COSIMA (2015-2017): Analyse sozialer Praktiken zur Klimaschonung in gemeinschaftsorientierten Nachhaltigkeitsinitiativen; mit Workshop zu Nachhaltigkeitsaktivitäten im Ökodorf (Oktober 2015) und weiteren Workshops in 2016.
    Dieses Projekt läuft in Kooperation mit der Alpen-Adria Universität Klagenfurt (Institut für Soziale Ökologie) und verschiedene Projektpartner aus Deutschland und Österreich.

  • Klima-Citoyen (2013-2016):  Neue Rollen, Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten der Bürger in der Transformation des Energiesystems (Energie sparen, Vernetzung, Nutzungskreisläufe optimieren, Inspiration durch Ökodorfpraktiken, regionale Wertschöpfung in erneuerbaren Energieprojekten); dazu gab es u.a. einen Energie-Workshop im November 2015 im Ökodorf Sieben Linden und zwei weitere in Iden und Tangeln Anfang 2016 stattgefunden. Dieses Projekt läuft in Kooperation mit der Universität Saarland.

  • nascent (2015-2018): Neue Chancen für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft durch transformative Wirtschaftsformen. In Kooperation mit: Universität Oldenburg, Hochschule für angewandte Wissenschaften München und Anstiftung. In 2015 gab es einen ersten Workshop; für die nächsten Jahre sind u.a. weitere Workshops geplant.

  • Ökologischer Fußabdruck (2015-2016): Es gibt eine Studie aus 2004 (Datenerhebung in Kooperation mit der Universität Kassel; seit 2014 gibt es eine neue Datenerhebung in Kooperation mit Andrea Bocco (Polytechnische Universität Turin); diese wird voraussichtlich 2016 veröffentlicht.

  • Reflexive Responsibilisierung – Verantwortung für Nachhaltige Entwicklung (2015-2018): Das Forschungsprojekt basiert auf der Annahme, dass Top-Down-Initiativen für eine nachhaltige Entwicklung in der Umsetzung vielfach an ihre Grenzen stoßen. Daher sollen nun lokal situierter Alltagspraktiken, Kommunikations- und Wissensformen als alternative Wege in die Nachhaltigkeit wie die des Ökodorf Sieben Linden sichtbar gemacht werden.
    In Kooperation mit: Universität Oldenburg (Fakultät Human- und Geisteswissenschaften) im Rahmen des Programms „Wissenschaft für nachhaltige Entwicklung“ der Volkswagen Stiftung sowie des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.
    Auch hier gab es vor kurzem (November 2015) einen ersten Workshop in Oldenburg; die Form der weiteren Zusammenarbeit wird in den nächsten Monaten geklärt.

  • "StrawShip" Forschungsprojekt zu nachhaltigem Bauen (seit 2015 in Entwicklung): ökologisches Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen und mobiles Bauen mit nachhaltiger Energieversorgung. Dieses Projekt ist noch in der Entwicklungsphase.

Allerdings entsprechen auch die Themen dieser Forschungsprojekte tatsächlich nur teilweise die Fragestellungen von Sieben Linden. So sind z.B. die Projektleiter von „nascent“ v.a. daran interessiert, heraus zu finden, unter welchen Bedingungen eine lokal-ökologische Landwirtschaft transformativ werden kann, d.h. die herkömmliche Landwirtschaft ersetzen kann. Unsere Fragestellung richtet sich aber eher darauf, wie wir eine Bio-Gärtnerei ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig führen können mit einem hohen Grad an Selbstversorgung bei Anbau vieler Kulturen. Bezüglich der Weiterentwicklung unseres Gartens erhalten wir gerade eine Beratung von Burkhard Kayser, um unseren Garten wirtschaftlicher und gleichzeitig ökologisch nachhaltig zu entwickeln und wir hoffen, dass die Erkenntnisse auch über Sieben Linden hinaus interessant sind. Denn der Bio-Anbau in Deutschland „konventionalisiert“ sich immer mehr, z.B. durch immer mehr Importe aus Niedriglohnländern. In diesem Sinne trifft sich unser Interesse mit den Zielen von nascent, nur ist der Anwendungsbereich ein anderer.

In Sieben Linden sind weitere mögliche Forschungsthemen z.B. Kompost-Toiletten: wie kann ein architektonisch einfaches System entwickelt werden, das ästhetisch ansprechend ist, und auch die Urinstein-Problematik und die ungünstigen Auswirkungen des Trenntoilettensystems für die Abwasserentsorgung löst.

Ein anderes wichtiges Themenfeld sind die Optimierung von Nährstoff-Kreisläufen wie die Nutzung von Biomeiler, Biogas (als Kochgas), Terra Preta, Schredder; Versickerung Klarwasser, Nutzung Urin, bessere Nutzung des Kacke-Kompostes. Besonders relevant ist auch die Erforschung von lokaler Ökonomie und die Analyse von Geldkreisläufe, die beispielhaft für andere ländliche Strukturen sein könnten.

Von Bedeutung sind auch Forschungsthemen im Kulturbereich wie die Entwicklung einer neuen ruralen Schulbildung, einer öffentlichkeitswirksamen Nachhaltigkeitskommunikation oder der Einbezug von Wissens- und Erfahrungsformen aus der Gegenwartskunst, die durch innovative Beteiligungsformate eine Kultur der „Offenen Wissenschaft“ (Open Science) für eine Zusammenarbeit von Praktikern mit Akademikern und des „Freien Zugangs“ (Open Access) zu bereits veröffentlichten wissenschaftlichen Artikeln oder Daten, weiterentwickeln.

Auch im Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung ZEGG wurden mit den Gemeinschaftsbewohnern im Kontext eines von Stella Veciana entwickelten Reallabors in Kooperation mit der Leuphana Universität weiterer Forschungsbedarf für Gemeinschaften herausgearbeitet. Zu den Themen gehören u.a. wie eine regionale Kreislaufwirtschaft durch eine Stoffstromanalyse von Pyrolyse zu Terra Preta gelingen kann; wie eine finanzielle Altersversorgung in Gemeinschaften aussehen kann; wie sich Modelle gelebter Nachhaltigkeit in urbane Strukturen integrieren lassen; wie die Gemeinschaften durch die Entwicklung eines eigenen Studiengangs zur transformativen Nachhaltigkeitsforschung beitragen können oder welche Chancen / Herausforderung eine autarke Nahrungsmittelversorgung beinhaltet.

All diese Themen könnten unter vielen anderen bei entsprechender Finanzierung von dem Forschungsinstitut praxisnah angegangen werden. Da steht so einiges an und das Team freut sich über jede/r, die Lust auf Mitarbeit hat!

Bitte schreibt Eure Ideen und Impulse zum Forschungsinstitut an: forschung@siebenlinden.de

Weiterführende Links:


Struenke

Christoph Strünke - Studium der „Angewandten Kulturwissenschaften“ an der Universität Lüneburg; Seit 2002 lebt er im Ökodorf Sieben Linden und engagiert sich im Dorfaufbau in verschiedenen Bereichen. In der Zeit von 2004 bis 2014 war er
Geschäftsführer der Siedlungsgenossenschaft Ökodorf, der zentralen Dorf-Organisation. In dem Rahmen hat er auch genossenschaftliche ökologische Betriebe mit aufgebaut (Waldwirtschaft und Gartenbau). Seit über 10 Jahren ist er der
Ansprechpartner für Forschungsanfragen an das Ökodorf Sieben Linden. Seit 2008 unterrichtet Strünke u.a. an der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz ökologische Themen (z.B. Energie, Klimawandel, Landwirtschaft, Ernährung, Konsum,
nachhaltige Lebenswege) für Menschen, die einen ökologischen Freiwilligendienst machen (FöJler/innen) und für werdende Erzieher/innen.


stella veciana

Dr. Stella Veciana - Studium der experimentellen Künste (Universität der Künste, Berlin) und der Computerkunst (School of Visual Arts, New York). Promotion über die Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft (Fakultät der Bildenden Kunst, UB). Gründerin der Plattform Research Arts, die sich der transdisziplinären und partizipativen künstlerischen Forschung für Nachhaltigkeit verschrieben hat. Ihre Kunst wurde international in Museen, Galerien, Kunstzentren und Festivals sowie in Stiftungen, NGOs, Universitäten, Forschungszentren und Kongressen ausgestellt (Akademie der Künste Berlin, Kunsthalle Nürnberg, Hangar Barcelona, UNESCO, Heinrich-Böll-Stiftung, Brot für die Welt, ZEF Development Research Center, Degrowth Conference, KIBLIX Festival, etc.). Langjährige universitäre Lehrerfahrung (Facultad de Bellas Artes Barcelona, Leuphana Universität Lüneburg, Technische Universität Berlin, Universidad Politécnica Valencia, University of Saskatchewan Canada, etc.). Mitarbeiterin und Forscherin in inter/nationalen Projekten (Forschungswende, Soft Control, PIPES, Leben in zukunftsfähigen Dörfern). Manager nationaler und europäischer Projekte (ICN). Weiterentwicklung der Lehre als „Reallabore“ für Nachhaltigkeit (Leuphana Universität mit Ökodörfer). Mitglied der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler VDW. mehr

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