Wanderausstellungskonzept für Konferenzen “Challenge YASUNÍ-ITT". Die erste Ausstellungs-Ausführung “Challenge YASUNÍ-ITT": Entwicklungsforschung und Buen Vivir” wurde während der Tagung „Transdisziplinäre Nachhaltigkeits-forschung – neue Partner für die Entwicklungsarbeit“ gezeigt, Februar 2014 im Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn.
Die zweite Ausstellung „Challenge YASUNÍ-ITT: Die Zukunft der Demokratie" wird während der internationalen Konferenz „Rohstoffausbeutung und die Zukunft der Demokratie in Lateinamerika“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin am 13. Mai. 2014 eröffnet.
|
»Konferenzen als Shared Spaces | Orte der Wissensintegration: Challenge YASUNI-ITT«. Stella Veciana
Von „Orten der Integration“ verschiedener Formen von Literacy und Wissen spricht Uwe Schneidewind im Zusammenhang mit den Anforderungen an die künftige Gestaltung des Wissenschaftssystems für die Transformation. „An die Seite etablierter technologischer und ökonomischer Experimentierkultur müssen verstärkt institutionelle und kulturelle Experimente treten“[1]. Ferner benötige es „Methoden der Wissensintegration“[2], die die Erfahrungen aus (Real)Experimenten in eine entsprechende Modellbildung aufnehmen. Insbesondere in urbanen Räumen können sich diese neuen Experimentier-kulturen der Reallabore , in denen Wissenserzeugung mit Wissensanwendung verbunden werden, gut entfalten. Ein weiteres Beispiel für ein solchen Orte der Begegnung und des Austausches unterschiedlicher Expertisen und Wissensformen sind Konferenzen. In diesen bewegen sich jedoch zumeist mehr oder weniger geschlossene Wissenschafts- und Expertenkreisen, die einer Dimension der Wissensintegration mit praktischem und angewandten Wissen nicht gerecht werden.
Wie könnte ein shared space, als ein Ort der Integration verschiedener Wissensformen und ein Ort der Begegnung für Vielfalt und Komplementarität
neu gestaltet werden? Ein solches Unterfangen gestaltet sich im Kontext der transdiziplinären Nachhaltigkeits-Forschung und der Entwicklungs-zusammenarbeit als besondere Herausforderung. Wie können die Erfahrung und das Wissen relevanter Akteure eingebunden werden, die aus Mangel an Ressourcen an einer Fachkonferenz nicht anwesend sein können? Wie können die begrenzten Konferenzräume, an denen üblicherweise eher Experten bzw. Entscheidungsträger teilnehmen, partizipativer gestaltet werden?
Aus diesen Leitfragen heraus entwickelte die Autorin das Kozept einer wachsenden Wanderausstellung für Konferenzen “Challenge YASUNÍ-ITT", die ihren Titel auf die gleichnamige YASUNÍ-ITT Initiative aus Ecuador bezieht. Die Ausstellung schafft Schnittstellen zwischen Entwicklungszusammenarbeit, Wissenschaft, Kunst und Zivilgesellschaft und setzt Besucher/innen und Wissenschaftler/innen verschiedener Orte in einen Austausch.
Die erste Ausstellungs-Ausführung “Challenge YASUNÍ-ITT": Entwicklungsforschung und Buen Vivir” wurde im Februar 2014 im Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn[3] zur Tagung „Transdisziplinäre Nachhaltigkeits-forschung – neue Partner für die Entwicklungsarbeit"gezeigt [4] . Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit dem Künstler Dan Norton realisiert und von den Veranstaltern Forschungswende Plattform, Brot für die Welt (BfdW), die Deutsche Kommission UNESCO und Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) unterstützt. Die "Yasuní-ITT Initiative“[5] wird als ein emblematischer Fall vorgestellt für eine umfassende Diskussion über die globalen Herausforderungen, die im Zusammenhang mit dem Extraktivismus und alternativen Energiepolitiken stehen.
Die zweite Ausführung „Challenge YASUNÍ-ITT: Think Tank" fand im Kontext der Veranstaltung "Buen Vivir. Das Recht auf ein Gutes Leben" am 12. Mai 2014 in Brot für die Welt (BfdW) in Berlin statt. Der Think Tank hat Konzepte, Wissen und Bilder der Teilnehmer zum Buen Vivir sichtbar gemacht. Auf einer zehn Meter langen Wandzeichnung konnten Teilnehmer ihre eigenen Bilder von einem guten Leben aufzeichnen und auf einer dreidimensionalen Fadenskulptur ihre schriftlichen Stellungnahmen dazu hängen und in Verbindung bringen. Am späteren Abend wurde die Diskussion über das Buen Vivir musikalisch vom Grupo Sal gemeinsam mit Erläuterungen vom Ökonom und ehemaligen Energieminister Ecuadors Alberto Acosta informativ und künstlerisch weiter gestaltet.
Die dritte Ausstellungspräsentation „Challenge YASUNÍ-ITT: Die Zukunft der Demokratie" wurde im Rahmen der internationalen Konferenz „Rohstoffausbeutung und die Zukunft der Demokratie in Lateinamerika“ am 13. und 14. Mai 2014 in der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) in Berlin eröffnet. Im Umfeld der Konferenz in der Heinrich-Böll-Stiftung wurde ein weiteres Element in die Ausstellung aufgenommen: Wie bedroht die aktuelle Rohstoff-ausbeutung in Lateinamerika den Erhalt und die Weiterentwicklung der Demokratie?
“Challenge YASUNÍ-ITT "besteht aus drei Grundelementen: eine interaktive Kunstinstallation vor Ort, ein Online-Forumund Flyposters:
Die interaktive Kunstinstallation vor Ort zeigt Video-Interviews von Yasuní-Expert/innen und Vertreter/innen der indigenen Völker aus Ecuador: Mikel Berraondo, Alicia Cahuia, Eduardo Gudynas, Pierre Ibisch und Christoph Nowicki, Manuel Pomaquero Minta und Mónica Potes[6] . Durch ein einfach zu bedienendes Conference tool können die Interviews spielerisch erkundet werden. In einem Dropdown-Menüsystem sind die Konzepte und Ideen der Interviewten gegliedert. Dadurch sind alle Interview-Beiträge, die beispielsweise im Zusammenhang mit Buen Vivir gesagt wurden, leicht zu finden. Ausstellungsbesucher können neue Verbindungen zwischen den verschiedenen Konzepten und Standpunkten herstellen. Der Vergleich unterschiedlicher Sichtweisen ermöglicht neue Ideen und Einsichten. Während die Konferenzteilnehmer Interviewfragmente aussuchen, werden diese zugleich auf eine Kentia-Palme projiziert. Es suggeriert die Frage wer durch wen hier zur Sprache kommt: der Mensch, die Pflanze oder das projizierte Bild? Eine Bildanalyse im Sinne des Buen Vivir würde es für möglich halten, Mensch und Natur seien nicht mehr zu unterscheiden und gebrauchten einer gemeinsamen Sprache.
Das interaktive „Konferenztool“ ist jedoch nicht nur als Kunstinstallation zu erfahren, sondern auch über das Internet in einem Online-Forum zugänglich. Im Forum können die Themen und Leitfragen der Konferenz diskutiert werden. Die Ausstellungsbesucher sind dazu eingeladen, sich mit ihrem Wissen, Ideen und Meinungen zu beteiligen. Dadurch wird ermöglicht, online und off-line Ausstellungsbesucher in einen lebendigen Austauschprozess einzubinden. Das innovative Potenzial dieses Konferenztools liegt darin, dass die Ideen und Themen der Konferenz verbunden und von den nicht physisch anwesend Befragten und Tagungsteilnehmer neu kombiniert werden können. Darüber hinaus können, durch die stetig wachsende Wanderausstellung, die Konzepte und Entwürfe für nachhaltige Alternativen über Konferenzen hinweg kombiniert werden.
Das Online-Forum mit den Leitfragen zu Yasuní, ergaben einige überraschende Einträge [7] . Dazu gehört der Beitrag „Pläne von A bis Z“, die als Antwort auf die gescheiterte Yasuní-ITT Initiative geschrieben wurden. Die Ziele des „Plan F: der akademischen und intellektuelle Bildung“, fordern
- eine Bildungsmodell, das die Erhaltung des Lebens und Wohlbefindens fördert,
- das Anerkennen der traditionellen Weisheit, um das Extraktivismus-model zu überwinden,
- Gespräche und Aktivitäten innerhalb der Universitäten, die die wissenschaftliche Gültigkeit einer Kritik des Extraktivismusmodels aufzeigen,
- Förderung von Forschung und Praktika, die Schüler und Lehrer über die
schwerwiegendsten Umweltprobleme des Landes informieren,
- Förderung von Studiengruppen für die Bewältigung der Umweltzerstörung
- Zweck der Bildung an sich überdenken, für wen und warum.
Der „Plan P: Partizipation und das Recht zu entscheiden“ sieht seine Hauptziele in:
- der Stärkung der partizipativen Demokratie auf nationaler und territorialer Ebene
- der Konsultationen zu wesentlichen Fragen wie dem Umweltschutz,
- dem Aufbau interkultureller Dialoge damit gefährdete (indigene) Gruppen nicht bei Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden.
Die Flyposters zitieren einige Aussagen der Interviews und sollen die Anwesenden zu Gesprächen anregen, die beispielsweise im Zusammenhang mit den Konferenz-Inputs stehen und die unmittelbar während des Gesprächs in das Online-Forum eingegeben werden können. Dies baut ein lebendiges digitales Archiv pluraler Wissensformen auf in denen alternative Ansätze leicht zugänglich gemacht werden, und die wiederum von unterschiedlichen Gemeinschaften für angewandte Projekte bis zur Aktionsforschung genutzt werden können. Alle drei Elemente können ebenso als die Versuchsanordnungen eines RealLabors verstanden werden, an denen die räumlichen und kommunikativen Rahmenbedingungen des Wissensaustauschs neu erprobt werden.
Die gesammelten Beiträge im Forum sind nur ein Beispiel für die alternativen Vorschläge aus der Zivilgesellschaft. Es bedarf allerdings shared spaces für eine Co-Kommunikation. Denn Herausforderung der Transformation des Wissenschaftssystems zur Nachhaltigkeit betrifft nicht nur die Forschungsinhalte, sondern auch die Austauschformate und Kommunikationsformen. Es verändert die Anforderungen an die einst unidirektionalen Wissenschaftskommunikation zu einer multidirektional vernetzten Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Das bedeutet unter anderem auch, die Kommunikation als eine transversale Komponente in einem transdisziplinären Forschungsprozess zu verstehen: von der Problembeschreibung über die Problemerforschung bis zur Bewertung, Anwendung und Verbreitung. Die Wissenschaft, die gesellschaftliche Akteure einbezieht, wird in den einzelnen Prozessphasen unterschiedliche Kommunikationsanforderungen erfüllen und zweckmäßige shared spaces zu schaffen haben.
Die Entwicklung neuer Orte der Begegnung und Integration, die shared spaces, versprechen ein anregendes Forschungs- und Erprobungsfeld für alle beteiligten Akteure zu werden, insbesondere für hybride künstlerisch-wissenschafliche Profile und Projekte. Welche Erwartungen sind an die shared spaces in unterschiedlichen Forschungszusammenhängen und mit diversen Akteuren zu stellen? Wie kann ein vielseitig lehrreicher shared space eines akademisch-praktischen Kooperationsprojektes aussehen?
↑ 1. Schneidewind, Uwe (2013): Transformative Literacy : gesellschaftliche Veränderungsprozesse verstehen und gestalten. In: GAIA 22/2, S. 85.
↑ 2. Bergmann, Matthias / Jahn, Thomas / Knobloch, Tobias / Krohn, Wolfgang / Pohl, Christian / Schramm, Engelbert (2010): Methoden transdisziplinärer Forschung. Ein Überblick mit Anwendungsbeispielen. Campus Verlag: Frankfurt am Main.
↑ 3. Mehr Information zur Ausstellung unter: www.challengeyasuni.net (01.04.2014)
↑ 4. Mehr Information zur Tagung unter: www.challengeyasuni.net/conference (01.04.2014)
↑ 5. 1979 wurde das ecuadorianische Regenwaldgebiet des Yasuní zum Nationalpark und 1989 von der UNESCO zum Welt-Biosphärenreservat erklärt. 2007 entstand die Yasuní-ITT Initiative, um die Förderung des Ölfeldes von Ishpingo-Tambococha-Tiputini (ITT) im Yasuní-Nationalpark zu verhindern. Die Initiative sucht die Artenvielfalt zu erhalten, die in freiwilliger Isolation lebenden indigenen Völker zu schützen, sowie die hohen Emissionen von CO2 durch Ölproduktion zu vermeiden.
Ecuador rief mit der Yasuní-ITT Initiative die internationale Gemeinschaft auf, sich an 50% der anfallenden Kosten durch das im Boden Belassens des Öls, zu beteiligen und schlug vor, die Spenden in einem Fond zum Schutz des Yasuní Nationalparks und der Entwicklung erneuerbarer Energieforschungsprogramme anzulegen. Nachdem nur ein sehr geringer Anteil der Gelder eingeworben werden konnte, wurde die Initiative durch Präsident Correa Mitte August 2013 beendet. Anfang Oktober entschied das Parlament, ein Teil des Yasuní Nationalparks der Ölförderung freizugeben.
↑ 6. Interviews mit: Mikel Berraondo (Fachanwalt für indigene Menschenrechte), Alicia Cahuia (Vice-Presidentin der Nawe, Woarani Organization), Eduardo Gudynas (Exekutivsekretär des lateinamerikanischen Zentrums für Soziale Ökologie, CLAES), Manuel Pomaquero Minta (Rektor des indigenen Technologischen Instituts Jatun Yachai Wasi), Verónica Potes (Fachanwalt für indigene Menschenrechte und Biodiversität), Pierre Ibisch und Christoph Nowicki (Master für Global Challenge Management, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde).
kommentieren |