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Nimm es mit Humor: Das auf und ab der interdisziplinären Arbeit. Eine Comic-Serie von Swen Seebach und Stella Veciana anlässlich des Synergy-Workshops' in HANGAR, Barcelona 2013.

Workshop Synergy: Interdisciplinary Practice and Theory, Hangar, Barcelona. 28. - 30. Juni 2013. (Photo: Stella Veciana).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nimm es mit Humor: Das auf und ab der interdisziplinären Arbeit. Eine Comic-Serie von Swen Seebach und Stella Veciana anlässlich des Synergy-Workshops' in HANGAR, Barcelona 2013.

 

 

Ein Physiker, ein Soziologe und ein Künstler kommen in eine Bar... - was kann Humor in den verschiedenen Typologien interdisziplinärer Projekte bewirken?

Ende Juni 2013 fand im Zentrum für die Forschung und die Produktion von Kunst HANGAR (Barcelona) der Workshop »Synergien: Interdisziplinäre Praxis und Theorie« statt, der im Rahmen des europageförderten Projektes Soft Control durchgeführt wurde. Ziel dieses Workshops war es einerseits an einem Protokoll, einem Masterdokument zur Durchführung interdisziplinärer Projekte zu arbeiten, und gegebenenfalls einen Forderungskatalog auf der Grundlage dieses Protokolls zu entwickeln. Andererseits ging es auch darum eben genau das, was theoretisiert im Protokoll kristallisiert werden sollte, praktisch in die Tat umzusetzen. Ein Ziel war es auch zwischen den Workshop – Teilnehmern [1] oder Kooperierende (obwohl sie das gar nicht immer sind), nicht nur eine gewisse Bindung herzustellen, sondern diese Bindung in ein oder mehrere gemeinsame interdisziplinäre Projekte zu gießen, das theoretische Gedankengut in praktischer Arbeit zu vergegenständlichen, wenn man es marxistisch ausdrücken wollte.  

Meine Rolle im Workshop glich dem Beobachter zweiter Ordnung in der soziologischen Theorie Luhmanns’[2]: Ein Beobachter, der nicht nur den einen oder anderen Kooperationspartner im Workshop mit der Sicht eines Teilnehmenden beobachtet, oder sich aktiv auf den Anderen durch seine Rolle im Projekt konzentriert, sondern ein Beobachter, der wegen seiner Distanz von den aktiven Teilnehmern auch die Beziehungen zwischen ihnen erkennen und verstehen kann.

Natürlich ist diese Rolle des Beobachters zweiter Ordnung etwas, das man leicht mit dem Sozialwissenschaftler oder Anthropologen in Verbindung bringen kann, zu deren Gattung ich mich zweifelsohne zähle. Hier soll es jedoch nicht darum gehen meine Rolle oder die Rolle der Beobachter in interdisziplinären Projekten auszuleuchten. Hier soll es darum gehen, die Anderen, die Workshop-Kooperierenden, und die Dynamiken zwischen ihnen, die zwischen ihnen stattfindenden Wechselwirkungsprozesse zu beschreiben und zu systematisieren. Auf der Basis dieser Systematisierung soll dann darüber gesprochen werden, wie gemeinsame Erfahrungen sich zu bindenden Gliedern in interdisziplinären Workshops verwandeln. Am Beispiel des Humors wird dies veranschaulicht und verdeutlicht werden.

Als Beobachter zweiter Ordnung erlebt man einen Workshop auf eine andere Art und Weise als die Anderen. Obwohl man allen Prozessen beiwohnt, ist man nicht vollständig Teil dieser Prozesse. Im Gegenteil sie fließen an einem vorbei, wie der Fluss, von einem Steg aus betrachtet. Diese Beobachtungsposition steht im Gegensatz zur Position des Teilnehmers, der ein Teil der Strömung des Flusses ist und für den der Fluss nicht vorüberfließt, sondern, durch ihn hindurch, sein Fließen ausdrückt. Diese Beobachtungsposition hat natürlich seine Vor- und Nachteile.

Zum Synergy Workshop im HANGAR (Barcelona) waren willige interdisziplinäre Workshop-Kooperierende aus verschiedensten Disziplinen geladen, so z.B. aus Physik (z.B. Ramon Sangüesa, Irene Lapuente, Josep Perelló), Biologie (z.B. Ramon Guardans), Medizin und Biomedizin (z.B. Raimund Fickert), Ingenieurwesen (z.B. Fernando Vilaraño, Irma Vila) Computertechnologie (Ramon Sangüesa) und aus der bildenden und digitalen Kunst (z.B. Stella Veciana, Simon Penny, Roc Parés, Mocksim und Dan Norton). Die Auswahl an sich war schon spannend, denn außer mir schien niemand aus den Sozialwissenschaften eingeladen gewesen zu sein, vielleicht weil man gerade wegen der disziplinären Unschärfe soziale Disziplinen nicht als geeignetes Fallbeispiel für interdisziplinäre Kooperationen empfindet. Die einzige Teilnehmerin, die mit ihren anthropologischen Arbeiten in den Bereich Sozialwissenschaften hätte fallen können, distanzierte sich selbst strikt und zielsicher von jeder Zuschreibung in diese Richtung. 

Der Workshop wurde in einem Raum ohne Licht, ohne Fenster, organisiert. Er glich auf diese Art und Weise einem Geburtskanal, einem Uterus, der etwas gebären soll. Vielleicht schon deshalb erinnerte das Ganze an ein großes Ritual, ein Initiationsritual, in einem leeren heiligen Raum aus dem etwas Neues hervorgehen sollte.

Während es am ersten Tag noch darum ging sich gegenseitig miteinander bekannt zu machen, ging es am zweiten Tag schon etwas mehr zu Sache. In Präsentationen und Diskussionsgesprächsrunden versuchten Simon Penny, Roc Parés und Mara Balestrini, interdisziplinäre Steine ins Rollen zu bringen.

Jedoch wurde schon in den Präsentationen der drei, als Leiter für den Soft Control Workshop von Hangar geheuerten, interdisziplinären Experten klar, dass »was als Interdisziplinär gelabelt wird, nicht immer Interdisziplinäres enthält«, zumindest nicht immer die Gleiche. Es gibt sie nicht »die Interdisziplinarität«. Was ich damit meine wird klar, wenn wir uns ein paar Fallbeispiele anschauen. Nimmt man z.B. Theo Jansens’ Strandbeest oder Roc Pares’ künstlerische digitale Objekte, so hat man es hier sicherlich mit einer interdisziplinären Arbeit zu tun. Jedoch unterscheidet sich diese grundlegend von z.B. Mara Balestrinis’ Arbeit mit Stadtplanern, oder der interdisziplinären Arbeit in einem UrbanLab und wiederum diese unterscheiden sich von einer interdisziplinären Arbeit, in der eine Disziplin eine andere benötigt, um eine bestimmte Arbeit zu leisten (wenn z.B. ein Kunst-und Kulturzentrum einen Sozialwissenschaftler braucht, um ein Protokoll zu schreiben). Es kann schnell ungenau werden, wenn man einfach nur über Interdisziplinarität spricht und damit so ziemlich jegliche Form des Zusammentreffens verschiedenster Disziplinen meint, ohne auszudifferenzieren, welche Rolle die jeweiligen Disziplinen spielen, wie sie aufeinandertreffen und welche Rolle den jeweiligen Disziplinen im Projekt zukommen.

Ich habe aus diesem Grund, auf der Basis meiner Beobachtungen und Analyse des Synergy Workshops entschieden, zwischen individueller Interdisziplinarität, hierarchischer Interdisziplinarität, symmetrischer Interdisziplinarität und auf Kooperation basierender Interdisziplinarität zu differenzieren. Jede Form der Interdisziplinarität wirft dabei ganz eigene Fragen auf und muss sich mit anderen Problemstellungen auseinandersetzen.

Als Individuelle Interdisziplinarität bezeichne ich die Form interdisziplinärer Arbeit, in welcher die Verbindung bzw. Verwebung zweier oder mehrere Disziplinen durch ein einzelnes Individuum vollbracht wird. Wenn also ein Künstler auch als Ingenieur ausgebildet ist, und mit Werkzeugen aus beiden Feldern arbeitet, beide Aspekte in einem Projekt zusammenbringt, dann hat man es zweifelsohne mit dieser Form der Interdisziplinarität zu tun. Die Verwebungsleistung ist hier ein interner individueller Akt. Die Grenze zwischen den Disziplinen wird durch das Zusammenbringen verschiedener, ansonsten als disziplinär verstandener Fähigkeiten, durch das interdisziplinär gebildete Individuum überwunden. Die interdisziplinäre Spannung, die ein solcher Verhandlungs- oder Überwindungsprozess mit sich bringt, wird also durch das Subjekt selbst aufgelöst. Im Synergy Workshop tauchte vor allem der Künstler als interdisziplinäres Subjekt auf, sowohl in theoretischen Überlegungen, als auch in projektangewandter Praxis.

Die zweite ausgemachte Form von Interdisziplinarität ist die hierarchische oder instrumentelle Interdisziplinarität. Gemeint ist die Form von interdisziplinärer Zusammenarbeit, in der die interdisziplinären Partner nicht auf der selben hierarchischen Ebene operieren. Wenn zum Beispiel ein Physiklabor einen Informatiker anheuert, um ein bestimmtes Problem zu lösen, dann hat man es mit einem typischen Fall der hierarchischen oder instrumentellen Interdisziplinarität zu tun. Ähnliches kann behauptet werden, wenn ein Recherchezentrum der Biomedizin einen oder mehrere Künstler beauftragt, am Tag der offenen Tür die tagtägliche Arbeit im Recherchezentrum und deren Resultate für die Besucher vermittelnd darzustellen, ein Beispiel dafür ist der Open day 2013 des Biomedizinischen Rechercheparks Barcelona. Interdisziplinarität wird in diesem Fall nur soweit erreicht, wie die beauftragende Institution das benötigt. Wenn also das biomedizinische Recherchezentrum eines Vermittlers bedarf, so wird soviel Interdisziplinarität hergestellt, wie dies zum Vermitteln der Inhalte nötig ist. Im Rahmes der Zusammenarbeit mag es dann vielleicht Verhandlungen geben, soweit dies notwendig ist. Alles in allem entscheidet jedoch der Auftraggeber über den Gestaltungsrahmen des interdisziplinären Partners.

Diese Form der interdisziplinären Zusammenarbeit ist in den letzten Jahren zu einem Königsgeschäft geworden. Immer mehr Firmen verlangen z.B. nach einem Anthropologen oder Soziologen, der ihre Firma ethnographisch ausleuchtet, und auch ich selbst würde mich in dem Synergy Workshop als interdisziplinär instrumentellen Mitarbeiter verstehen.

Auf Kooperation basierende Interdisziplinarität und symmetrische Interdisziplinarität ähneln sich grundsätzlich sehr, beides sind Formen der horizontalen Zusammenarbeit zwischen Disziplinen. Ein oder mehrere Partner arbeiten hier zusammen und bringen ihre disziplinäre Expertise ein. Beide Formen der Interdisziplinarität unterscheiden sich jedoch grundlegend in Bezug auf, erstens die konkreten Erwartungen profitabler Resultate, zweitens der Notwendigkeit einer konkreten Projektfragestellung und drittens der Bedeutung von Macht im Rahmen des Projektes.

Als symmetrische Interdisziplinarität würde ich die Form der interdisziplinären Zusammenarbeit bezeichnen, in welcher zwei oder mehrere Partner verschiedener Disziplinen zusammenkommen und unter gleichen Bedingung zusammenarbeiten, das heisst alle das Gefühl haben einen gleichen Teil des interdisziplinären „Kuchens“ zu bekommen. Jeder muss also einen Teil einbringen, den er im Rahmen des Projektes durch das Projekt selbst und durch die Resultate vergütet bekommt. Im Idealfall sind die eingebrachten Kenntnisse und Arbeitsstunden und die ausgleichenden Aspekte aller Partizipierenden ungefähr gleich groß. Dadurch entsteht eine gewisse Symmetrie zwischen allen Disziplinen und Partizipierenden, durch welche alle irgendwie gleich und zugleich bis zu einem gewissen Maß unabhängig voneinander sind.

Machteinfluss wird hier also weitest möglich ausgeschaltet. Dazu ist es notwendig, ja nahezu unabdinglich, in einem spezifischen (für alle verständlichen) Projekt mit einer klaren Fragestellung und mit einer klaren Vorstellungen über mögliche Ziele zu arbeiten, so dass alle sich ihrer Rolle, ihrer Leistungen und Gegenleistungen, ihrer Beigaben und ihre möglichen Gewinne und Verluste bewusst sind und auf deren Basis geschickt miteinander interagieren können. Die Verflechtung der unterschiedlichen Disziplinansätze findet hier auf der Projektebene statt. Jedoch kann auch aus dieser projektbezogenen Interdisziplinarität, durch die Zusammenwirkung verschiedener Disziplinen, Wissen entstehen, das nicht in der Fragestellung und im Projektentwurf vorgesehen war.

Auf Kooperation basierende Interdisziplinarität ist die Form der interdisziplinären Zusammenarbeit, in welcher zwei oder mehrere Partner verschiedener Disziplinen zusammenkommen und unter der Bedingung zusammenarbeiten, dass alle gemeinsam bereit sind Opfer für die Zusammenarbeit zu bringen, ohne zu wissen, ob sie und inwiefern sie individuell von der Zusammenarbeit einen Nutzen haben werden. Faktisch könnte man sagen, dass hier die Zusammenarbeit selbst, das gemeinsame interdisziplinäre Forschen, von einem Mittel zur Beantwortung projektgebundener Fragen zu einem Endzweck wird. Dazu müssen alle Beteiligten bereit sein, einen Teil ihrer Zeit, ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten für die Gruppe bereitzustellen.

Die interdisziplinäre Arbeit im Rahmen der auf Kooperation basierenden Interdisziplinarität braucht keine konkrete Fragestellung, kein Projekt und folgt keiner eindeutigen Ergebniserwartung. Gerade wenn jedoch aus einer solchen (explorierenden) kooperierenden Zusammenarbeit ein „gewinnbringendes Projekt“ entsteht, kann Macht plötzlich eine Rolle spielen und ausbalancierte Dynamiken zerstören. Die Zusammenarbeit einer auf Kooperation basierenden interdisziplinären Arbeitsgruppe braucht besonders viel Aufmerksamkeit / Betreuung, da hier das gemeinsame Arbeiten, Forschen, ja das gemeinsame Zusammensein zum Sinn und Zweck des Zusammenwirkens wird. Dies ist der Grund warum es ähnlich wie in anderen Beziehungen, die im gemeinsamen Sein ihren Sinn finden, wie z.B. Intimbeziehungen, einer besonderen und beständigen Zuwendung zum Beziehungserhalt bedürfen. Disziplinen werden hier intensiv miteinander verwebt. Sie werden nicht nur mittels wissenschaftlicher Fragen und Forschungsgegenstände verbunden, sondern durch das Erleben und das persönliche aufeinander Einwirken verschiedener Wissenschaftler.

Nachdem ich nun verschiedenste Formen der Interdisziplinarität vorgestellt habe, wird dem Leser schnell klar, dass Interdisziplinarität verschiedene Formen annehmen kann. Dies konnte ich auch während des Workshops beobachten, bei dem verschiedenste Vorstellungen von Interdisziplinarität direkt oder indirekt aufeinandertrafen. Eines haben jedoch alle Formen der Interdisziplinarität gemeinsam: Im Prozess interdisziplinären Arbeitens muss eine Grenze, eben die Grenze der Disziplin überwunden werden. Nun stellten sich mir im Rahmen des Workshops folgende Fragen: Wie geschieht das - ein disziplinärer Grenzgang? Und gibt es bei dieser disziplinären Grenzüberschreitung eine gemeinsame Schnittmenge zwischen den verschiedenen Formen der Interdisziplinarität?

Während ich in dem abgedunkelten Veranstaltungsraum, in der Dunkelheit des Geburtskanals saß, hatten sich die ersten Gruppen gebildet. Dabei, fiel mir vor allem auf wie die Gruppen sich strukturierten: sie steckten ihre Köpfe enger zusammen und sie entspannten sich, sobald ein Lachen zu hören war. Im Rückblick reflektierend bemerkte ich, dass dies kein Zufall war. Sicherlich ging es dabei nicht um Witze, die uns aus dem Wissenschaftskontext bekannt sind, wie beispielsweise folgender:

Verschiedene Leute sollen beweisen, dass alle ungeraden Zahlen außer der eins Primzahlen sind:

Politiker: 3 ist Primzahl, 5 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 9 ist in der Minderheit, können wir ignorieren, 11 ist Primzahl, 13 ist Primzahl.

Psychologe: 3 ist Primzahl, 5 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 9 ist eine Primzahl, aber unterdrückt es, 11 ist Primzahl, 13 ist Primzahl...

Windows Benutzer: 3 ist Primzahl, 5 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 9 ist... - Allgemeine Schmutzverletzung im Modul PRIMZAHL.DLL.

Quantenphysiker: Alle Zahlen sind sowohl Primzahlen als auch nicht Primzahlen, solange man sie nicht untersucht.

Theologe: 3 ist eine Primzahl und das reicht für mich.

Informatiker: 3 ist Primzahl, 5 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, 7 ist Primzahl, ... - STACK “OVERFLOW”
[3]

Obwohl diese Form des Humors die Probleme des interdisziplinären Verständnisses zwischen verschiedenen Disziplinen bestens vergegenständlicht und diese Form des Humors im Workshop durchaus zugegen war, ist es nicht dieser Humor, der für mich von Interesse ist und der ausschlaggebend im Workshop war. Vielmehr war der gesamte Workshop von einer Art von Humor durchzogen, der anstatt Grenzen zwischen Individuen und Disziplinen zu reflektieren, diese zu überwinden half.

Dass Humor die Kraft hat Grenzen zwischen Individuen und sozialen Gruppen jeglicher Art aufzuheben, sollte nicht verwundern. Schon Freud[4] betrachtete im Witz eine Kraft die Grenzen der Realität zu sprengen, Menschen aus ihrer Alltäglichkeit herauszulösen und ihnen eine Distanz zu ihren Vorurteilen einzuräumen, die es ihnen erlaubt über das Ernsthafteste allein oder gemeinsam zu lachen. Nietzsche[5] sah im Lachen eine Form des Seins jenseits von Gut und Böse. Und Berger und Luckmann[6], zwei bekannte Soziologen des letzten Jahrhunderts diskutierten Humor als einen möglichen geschlossenen Sinnbereich. Die Betrachtung des Humors in interdisziplinären Projekten als einen geschlossenen Sinnbereich macht durchaus, und jetzt kommt’s, Sinn. Ist doch ein geschlossener Sinnbereich, ein Bereich der Gesellschaft, welcher der Alltagswelt und den alltäglichen Urteilen und Vorurteilen gegenübersteht und gerade deshalb einen Raum der sozialen Begegnung über Grenzen hinweg ermöglicht.

Ist dies vielleicht der Grund warum Humor in Barcelona so sehr zu helfen schien? Es ist wohl so anzunehmen. Jedoch muss zugleich noch etwas anderes miterwähnt werden: Humor im Allgemeinen ist ein probates Mittel disziplinäre Grenzen zu überspringen. Allerdings verändert sich die Form entsprechend dem Interdisziplinaritätstypus, wie und von wem Humor erfolgreich eingesetzt wird und werden kann, sodass auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit generiert wird.

Im Fall individueller Interdisziplinarität läuft der Humor im interdisziplinären Subjekt im Umgang mit sich selbst ab, manchmal ironisch oder zynisch, oder er drückt sich nach Außen durch das Projekt selbst aus, wie das so oft bei interdisziplinären Künstlern zu beobachten ist. Im Fall hierarchischer Interdisziplinarität verläuft dies anders. Hier schafft gewöhnlich die führende Disziplin und die in ihr verwachsenen Individuen einen Rahmen für Humor, der dann von den Anderen angenommen oder abgelehnt wird.

In symmetrischen interdisziplinären Projekten hilft Humor, trotz fehlendem Gemeinschaftsgefühl, eine gewisse Form des Zusammenhaltes über das gemeinsame Projekt hinaus herzustellen. Der im eigentlichen Sinne instrumentelle Charakter der individuellen Mitarbeit wird so zumindest zeitweilig suspendiert und durch eine gemeinsame Erfahrung ersetzt. Ähnlich wie bei den Resultaten und Gewinnen, muss jedoch der Einsatz von Humor relativ gleich verteilt bleiben, da sonst emotionale Ungleichgewichte entstehen können, die dann selbst wieder Teil des Kalküls über die Wirtschaftlichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit wird.

In auf Kooperation basierenden interdisziplinären Projekten ist Humor besonders wichtig, da hier eine gemeinsame Erfahrung zur Grundlage der interdisziplinären Zusammenarbeit wird. Dies ist zwar bei interdisziplinären Projekten in gewisser Weise immer der Fall, jedoch nie so stark und direkt wie hier. Humor schafft eine geschlossene Sinnwelt außerhalb der Alltäglichkeit in der man sich gemeinsam begegnen kann und die gerade deshalb, weil sie außeralltäglich ist, als besonders intensiv empfunden wird und langanhaltende beziehungsstiftende Effekte erzielen kann. Daher ist Humor ein perfektes Mittel zur Beziehungsknüpfung in interdisziplinären, insbesondere in auf Kooperation basierenden interdisziplinären Projekten. Das gemeinsame Lachen wird zur kollektiven Erfahrung, die Lust auf mehr macht und nachhaltige gemeinsame Erinnerungswelten schafft.

Im Workshop konnte man sehen wie mittels Humor soziale Beziehungen hergestellt, aber auch Hierarchien verhandelt wurden. Humor war ein wichtiges Mittel, um die gesamte Veranstaltung als solches zusammenzuhalten, auch weit über den offiziellen Rahmen hinaus, bis in die späten Abendstunden. Den Workshopleitern Roc Parés, Simon Penny und Mara Balestrini kam unter anderem die wichtige Aufgabe zu, den Einsatz von Humor und so die Eintritte und Austritte in die geschlossenen Sinnwelten zu steuern, ein wenig wie Schamanen in Initiationsriten. Es sollte nicht verwundern, dass sie Experten auf dem Gebiet interdisziplinärer Arbeit sind, weil sie selbst individuelle Interdisziplinäre sind, individuelle Grenzüberschreiter. Alle drei kamen ihrer Aufgabe nach Steuerung, Öffnung und Begrenzung nach, indem sie selbst mit Humor und Witz, aber auch Normensetzung und Strenge das Geschehen und die Benutzung des Humors zumindest in bestimmten Momenten regulierten.

So lachten wir alle über die, von Simon Penny diskutierte, metaphorisch - interdisziplinäre Bedeutung von Aalen: »Life itself is a succession of eels« (ein Zitat von welchem selbst Simon nicht mehr wusste, was er damit eigentlich sagen wollte). Und wir amüsierten uns über die heilenden Fähigkeiten von rein ökolokisch gewonnenem „All-Salt“. Ein Salz, durch welches in schelmiger Art und Weise Umweltverschmutzung und Ökodiskurse verbunden und ironisiert werden. Auch Roc Parés' humorvoll und offen ausgetragener Kampf mit sich selbst, eine/keine Führungspersönlichkeit im Workshop zu sein, trug zu einer heiteren Stimmung bei.

Abschliessend würde ich behaupten, dass wenn „ein Physiker, ein Soziologe und ein Künstler in eine Bar kommen“ interdisziplinäre Zusammenarbeit potentiell möglich ist. Im HANGAR ist diese Möglichkeit, trotz verschiedener Vorstellungen von Interdisziplinarität und trotz Projekte mit unterschiedlichen Interdisziplinaritäts-logiken, auch und vor allem Dank des vorhandenen Humors Wirklichkeit geworden.


1. Ich verwende hier die männliche Form, die weibliche Form ist stets mitgemeint.

2. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, neue Auflage 2001.

3. Siehe: Fachschaften Informatik und Mathematik an der Universität zu Kiel.

4. Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1986.

5. Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Schmeitzner, Chemnitz 1883.

6 Peter L. Berger, Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. 3. Aufl., Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 1972 (1970).

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Swen Seebach - Politikwissenschaftsstudium an der Universität Leipzig, Philosophie – und Feminismusstudium an der Universität Sussex. Spezialisierung auf die Recherche von Emotionen und deren Bedeutung für das Weben sozialer Beziehungen. Derzeitige Recherchefokusse – Emotionen in Konsumpraxen und eine, auf Empirie basierende, Konzeptualisierung von Interdisziplinarität. Forscher im IN3 (Internet Interdisciplinary Institute). Mitarbeiter im Drittmittelprojekt Forms of Commitment in Love Relationships and the Expression(s) of Emotions in Times of Electronic Communication an der offenen Universität Kataloniens (UOC). Mitarbeiter in Projekten von HANGAR (Barcelona). mehr

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