A Number_Orlowsky: Tomas S. Spencer und Patrick Lanagan in "A Number" von Caryl Churchill. Regie: Günther Grosser. Photo byHeiko Orlowsky.
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Tomas S. Spencer, Lee Stripe, Richard Penny, Carolyn Walsh, Julie Trappett, Elisabet Johannisdottir und Ciara Goss in "An Experiment with an Air Pump" von Shelagh Stephenson. Regie: Günther Grosser. Photo by Christian Jungeblodt.
Tomas S. Spencer und Ciara Goss in "An Experiment with an Air Pump" von Shelagh Stephenson. Regie: Günther Grosser. Photo by Christian Jungeblodt.
Anna Cramer in "Photograph 51" von Anna Ziegler. Regie: Günther Grosser. Photo by Christian Jungeblodt.
Stuart Austen, Ben Maddox und Kevin McKinnon in "Photograph 51" von Anna Ziegler. Regie: Günther Grosser. Photo by Christian Jungeblodt.
Kevin McKinnon und Stuart Austen in "Photograph 51" von Anna Ziegler. Regie: Günther Grosser. Photo by Christian Jungeblodt.
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»Neue Inhalte und Formen der Wissenschaftskommunikation:
Das Science&Theatre-Projekt.«
Prof. Dr. Regine Hengge
Die modernen Naturwissenschaften haben massiven Einfluss auf unser aller Leben, der in Zukunft noch weiter zunehmen wird. Niemand kann sich diesem entziehen, wobei das Spektrum der Reaktionen von Heilserwartungen über mäßiges Interesse bis zu irrationalen Ängsten reicht. Wissenschaftler/innen sind daher gefordert, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren und sich Gedanken über mögliche gesellschaftliche Konsequenzen und ‘Nebenwirkungen‘ ihrer Forschung zu machen. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft als Ganzes die Kosten der Wissenschaft trägt und daher sowohl Information wie eine 'Rendite' erwartet.
In diesem Spannungsfeld sind die Erwartungen an Wissenschaftler/innen hoch und diese sollten sich ihrer Verantwortung bewußt sein. Dabei geht es um sehr viel mehr als um die Vermittlung von allgemeinverständlich aufpoliertem wissenschaftlichem Faktenwissen, welches zumeist in Sachbüchern, Fernsehen und seriösen Internetquellen bereits höchst professionell präsentiert wird. Gefragt sind vielmehr oft Orientierung und Bewertung und ein Einblick hinter die Kulissen der Entstehung neuen Wissens und neuer Technologien. In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit gilt es ehrlich zu sein, keine überzogenen Versprechungen zu machen – auch wenn dies kurzfristig zu mehr Forschungsgeld führen kann – und auf einer verständlichen und dennoch differenzierten Sicht der Dinge zu bestehen. Ebenso müssen Wissenschaftler/innen klarstellen, dass sogenannte Experten nicht allwissend sind, dass Wissenschaft der von Menschen betriebene Prozess der Suche nach Erkenntnis ist und alle wissenschaftlichen Ergebnisse daher immer als vorläufig und verbesserbar zu betrachten sind. Auch den Wert der Grundlagenwissenschaft gilt es zu vermitteln, stellt diese doch den nötigen Pool von Wissen und Verfahren zur Verfügung, der bei neuen Problemen zu deren Lösung bereitsteht, und keine Motivation füllt diesen Pool zuverlässiger als die freie und neugiergetriebenes Suche nach Erkenntnis.
Allerdings geschieht diese Suche nicht im politisch und sozial leeren Raum, und im 20. Jahrhundert hat die Wissenschaft endgültig ihre Unschuld verloren. Stichworte hierzu sind z.B. Eugenik und die Atombombe. In neuerer Zeit sind Gentechnik, Nanotechno-logie, Synthetische Biologie und eine am Horizont heraufziehende 'Humanbiotechnologie' zumindest umstritten. Hierzu müssen Wissenschaftler/innen sich selbst und der Öffentlichkeit immer wieder Fragen stellen und als Diskussionspartner zur Verfügung stehen: Wie weit darf oder muss Wissenschaft gehen, wenn sie – was in ihrer Natur liegt – immer wieder Grenzen überschreitet? Wieviel Risiko oder gar 'Kollateralschaden' ist zulässig oder gar unvermeidlich? Wie weit wollen wir als Gesellschaft gehen in der praktischen Umsetzung des technisch-wissenschaftlich Möglichen? Wieweit sollte man sich als Wissenschaftler/in Druck aus der Gesellschaft oder Politik beugen? Wo hört Wissenschaft auf Wissenschaft zu sein oder wird sie gar mißbraucht? Welche sozialen Spielregeln und ethischen Grundsätze gelten innerhalb der Wissenschaft, wie sind diese historisch gewachsen, welche Entwicklungen fördern ihre Verletzung?
All diese Gesichtspunkte spielen merkwürdigerweise in der Ausbildung von Nachwuchs-wissenschaftler/innen noch immer praktisch keine Rolle. Man scheint davon auszugehen, dass junge Wissenschaftler/innen die Fähigkeit zur Selbstreflexion ihrer Tätigkeit und zur Wissenschaftkommunikation quasi durch 'Osmose' und 'learning by doing' schon von selbst erwerben. Und wie kann man Wissenschaftskommunikation und eine öffentliche Diskussion der oben angerissenen Fragen verständlich und dennoch differenziert gestalten? Wie kann man Menschen erreichen, die sich mit solchen Fragen noch nie auseinandergesetzt haben, obwohl sie von den Konsequenzen ebenso betroffen sind oder in Zukunft sein werden?
In der englischsprachigen Welt gibt es seit einiger Zeit das sehr erfolgreiche Genre des 'Science Plays'. Im Gegensatz zu Sachbüchern, Fernsehsendungen oder öffentlichen Vorträgen geht es in diesen neuen Wissenschaftstheaterstücken gerade um die oben skizzierten sozialen Auswirkungen und ethisch relevanten Aspekte von Wissenschaft, sowie um das Leben hinter den Kulissen der Wissenschaften. Da Theater immer auf ein Publikum ausgerichtet ist, ist Theater per definitionem Öffentlichkeitsarbeit und bietet daher Möglichkeiten, die in der derzeitigen Wissenschaftskommunikation gerade in Deutschland noch viel zu wenig genützt werden. Theater – insbesondere das angelsächsische zeitgenössische Theater, das im Gesatz zum deutschen viel mehr ein Autoren - als ein Regietheater ist – basiert auf Geschichten und ist daher im besten Fall kritisch und unterhaltsam gleichzeitig. Es bezieht die sinnliche und emotionale Ebene ein und könnte somit – wie die Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften nahelegen - eine besondere Wirksamkeit entfalten.
Daraus ergab sich ein Projekt ganz neuer Art: Science&Theatre - Wissenschafts-kommunikation vom Labor über die Bühne in die Öffentlichkeit, konzipiert als lang-fristiges Kooperationsprojekt zwischen aktiv forschenden Naturwissenschaftler/innen und praktischen Theaterschaffenden. Ein wesentlicher Teil des Projekts ist die Einbeziehung von Nachwuchswissenschaftler/innen, die sich im Rahmen eines Seminars mit sozialen und ethischen Aspekten naturwissenschaftlicher Forschung auseinandersetzen und diese dann im Rahmen der dramaturgischen Erarbeitung eines ausgewählten Stücks an die Theatermacher – also Regisseur, Schauspieler, Bühnendesigner – kommunizieren. Letzteren soll es dadurch ermöglicht werden, ‘Science plays‘ in all ihren Details kompetent und glaubhaft für ein generelles Publikum in Szene zu setzen. Ausserdem fließt diese intensive transdisziplinäre dramaturgische Arbeit in umfangreiche und informative Programmhefte ein. Da es die relevanten Stücke derzeit praktisch nur auf Englisch gibt, stellt das English Theatre Berlin mit seinem deutsch-englisch gemischten Publikum – Berlin hat ca. 150000 'native English speakers' – den idealen Kooperationspartner für ein solches Projekt dar, wobei allerdings längerfristig auch an eine Ausstrahlung ins deutsche Theater gedacht ist.
Ziele des Projekts sind es also, Nachwuchswissenschaftler/innen auf ihre zukünftige Aufgaben auch als 'Wissenschaftskommunikatoren' vorzubereiten und die Theaterbühne als ein neuartiges Forum für Wissenschaftskommunikation zu nützen. Aus der Sicht der Theatermacher geht es darum, durch 'Science Plays' neue und aktuelle Inhalte für das zeitgenössische Theater zu erschließen und damit dieses Genre auch in Deutschland einzuführen. Schließlich gilt es – quasi als 'Metaprojekt' – Bedingungen und Chancen für Kreativität und Kommunikation ein einem so eminent transdiziplinären und langfristig angelegten Projekt zu untersuchen.
Dabei waren und sind eine ganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen. Zunächst mußten Form und vor allem Inhalte für das Doktorandenseminar "Soziale, ethische und künstlerische Aspekte naturwissenschaftlicher Forschung" komplett neu entwickelt werden, was im durch ‘Bologna‘ weiter verdichteten Universitätsalltag keine kleine Aufgabe war. Sodann stellt die sich langsam auf einander zutastende Kommunikation zwischen Wissenschaftler/innen und Künstler/innen, die in gänzlich verschiedenen Arbeits- und Lebenswelten agieren, ein anhaltendes Abenteuer dar. Hierbei muss möglichst nachhaltig gegenseitiges Interesse an der jeweils anderen Welt geweckt werden – insbesondere die Schauspieler müssen ja eintauchen in diese für sie bisher völlig fremde Sphäre und sich womöglich mit Protagonisten der Wissenschaft identifizieren. Außerdem sind nicht unerhebliche praktische ‘Hausaufgaben‘ zu erledigen. Zum Einen muss die gesamte Crew eines Theaters – in diesem Fall das English Theatre Berlin – bereit sein, sich auf ein solch umfassendes Projekt einzulassen und dieses in ihren Spielplan zu integrieren. Zum Anderen müssen immer wieder Fördergelder aufgetan werden, was in einer deutschen Förderlandschaft, in der nur gefördert wird, was in den Statuten genau definiert ist, mehr als einmal zu dem bedauernden Bescheid "wunderbares Projekt, passt aber leider in keine der von uns definierten Förderlinien" führte.
Diese Herausforderungen wurden jedoch bisher gemeistert – ist es doch gelungen, seit 2010 drei 'Runden' des Science&Theater-Projekts erfolgreich zu gestalten. Hierbei wurden die drei Stücke "A Number" von Caryl Churchill (2010), "An Experiment with an Air Pump" von Shelagh Stephenson (2011) sowie "Photograph 51" von Anna Ziegler (2012) erfolgreich inszeniert, die eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Themen im wahrsten Sinn des Wortes in Szene setzen: 'Humanbiotechnologie' und die möglichen sozialen Folgen; menschliche Identität und 'Nature & Nurture' von komplexen menschlichen Eigenschaft wie z.B. Intelligenz oder Aggression; die Frage, wieweit Wissenschaft gehen darf und muss, ob und gegebenenfalls welche gesellschaftlichen Tabus in Frage gestellt werden dürfen oder sogar müssen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, die dann wieder allen zugute kommen können; der Konflikt zwischen wissenschaftlicher Integrität im Spannungsfeld von 'publish or perish', auf dem als höchste Belohnung der Nobelpreis winkt; die Rolle von Frauen in den Naturwissenschaften.
Darüberhinaus wird auch ein Begleitprogramm mit Publikumsdiskussionen zu den Stücken sowie öffentlichen Vorträgen international renommierter Wissenschaftler/ innen geboten, jeweils passend zu den im Stück angesprochenen Themen. Im Fall von "Photograph 51" wuchs unter dem Globalthema "DNA" (50 Jahre Nobelpreis für die Entdeckung der DNA-Doppelhelixstruktur und den Folgen für Wissenschaft und Gesellschaft) das begleitendes Schulprojekt "DesignerJeansGenes" zur Synthetischen Biologie (in Kooperation mit drei Berliner Gymnasien) sogar zu einem eigenen umfangreichen Performations- und Ausstellungsprojekt heran, dessen Ausstellungsteil im Rahmen der 'Langen Nacht der Wissenschaften' an der Freien Universität noch weiter ausgebaut wurde.
Sowohl die Stücke wie die Publikumsdiskussionen und das jeweilige Begleitprogramm wurden vom Publikum wie auch von der Presse mit großem Interesse aufgenommen. Überraschenderweise erwies es sich dabei als sehr viel einfacher, das 'generelle' Theaterpublikum sowie Lehrer/innen mit Schulklassen für Theater mit wissenschaft-lichen Hintergründen zu begeistern, als umgekehrt 'echte' Naturwissenschaftler/innen dazu zu bewegen, ins Theater zu gehen, um dort ihre 'eigenen' Themen und deren soziale und ethische Implikationen in 'performativer Aufbereitung' zu sehen. 200 Jahre strikter Trennung zwischen den Naturwissenschaften und den Künsten scheinen noch immer nachhaltig zu wirken. Erfreulicherweise gilt dies jedoch nicht für alle Naturwissenschaftler/innen, und so ist Science&Theatre Teil des großen sozialen Labors, in dem neue Formen transdisziplinärer Kommunikation, neue Wege zu Kreativität und gesellschaftlicher Diskussion und Partizipation an wissenschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen erprobt werden. Es wäre zu überlegen, ob Aktivitäten wie die von Science&Theatre vielleicht in eine umfassende transdisziplinäre Forschungsagenda mit entsprechender Förderung münden sollten.
Bisher wurde das Science&Theatre-Projekt durch die Freie Universität Berlin, die Ernst-Schering-Stiftung und den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung gefördert. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften integrierte es in ihr Zwei-Jahres-Programm 'ArteFakte. Wissen ist Kunst - Kunst ist Wissen’ (2011/2012).
© Regine Hengge, 2013. |